Der Scheerer wagte noch eins und sagte: Nein, Vogt, man wickelt sie wohl unter den zweyfarbigten Mantel, und sagt die drey Worte: Es ist so, bey meinem Eyd es ist so -- und bey gutem Anlaß streckt man kräftig drey Finger hinauf, zween hinab -- abrakadabra -- und die Säcke strotzen von Geld --
Das machte den Vogt toll, und er antwor- tete: Du könntest zaubern, Scheerer! Aber das ist nicht anders. Leute von deinem Handwerk müssen nothwendig auch Zauber- und Henkerskünste ver- stehen.
Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu rund, und es hat ihn übel gereuet, daß er sich mit dem Vogt eingelassen. Er schwieg auch, ließ den andern reden, und seifte mausstill den Mann ein, der ihm saß.
Der Vogt aber fuhr tüchtig fort, und sagte: Der Scheerer ist ein ausgemachter Herr! er darf unser einem wohl nicht antworten. Er trägt ja Spitzhosen -- Stadtschuhe -- und am Sonntag Manschetten. Er hat Hände so zart, wie ein Jun- ker -- und Waden, wie ein Stadtschreiber.
Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das auch schon gehört -- und lachten nicht über des Vogts Witz.
Nur der junge Gallj, der eben saß, mußte über die Stadtschreiberwaden lachen; denn er kam eben
aus
Der Scheerer wagte noch eins und ſagte: Nein, Vogt, man wickelt ſie wohl unter den zweyfarbigten Mantel, und ſagt die drey Worte: Es iſt ſo, bey meinem Eyd es iſt ſo — und bey gutem Anlaß ſtreckt man kraͤftig drey Finger hinauf, zween hinab — abrakadabra — und die Saͤcke ſtrotzen von Geld —
Das machte den Vogt toll, und er antwor- tete: Du koͤnnteſt zaubern, Scheerer! Aber das iſt nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤſſen nothwendig auch Zauber- und Henkerskuͤnſte ver- ſtehen.
Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er ſich mit dem Vogt eingelaſſen. Er ſchwieg auch, ließ den andern reden, und ſeifte mausſtill den Mann ein, der ihm ſaß.
Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und ſagte: Der Scheerer iſt ein ausgemachter Herr! er darf unſer einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja Spitzhoſen — Stadtſchuhe — und am Sonntag Manſchetten. Er hat Haͤnde ſo zart, wie ein Jun- ker — und Waden, wie ein Stadtſchreiber.
Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das auch ſchon gehoͤrt — und lachten nicht uͤber des Vogts Witz.
Nur der junge Gallj, der eben ſaß, mußte uͤber die Stadtſchreiberwaden lachen; denn er kam eben
aus
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Der Scheerer wagte noch eins und ſagte:
Nein, Vogt, man wickelt ſie wohl unter den
zweyfarbigten Mantel, und ſagt die drey Worte:
Es iſt ſo, bey meinem Eyd es iſt ſo — und bey
gutem Anlaß ſtreckt man kraͤftig drey Finger hinauf,
zween hinab — abrakadabra — und die Saͤcke
ſtrotzen von Geld —
Das machte den Vogt toll, und er antwor-
tete: Du koͤnnteſt zaubern, Scheerer! Aber das iſt
nicht anders. Leute von deinem Handwerk muͤſſen
nothwendig auch Zauber- und Henkerskuͤnſte ver-
ſtehen.
Das war jezt freylich dem guten Scheerer zu
rund, und es hat ihn uͤbel gereuet, daß er ſich mit
dem Vogt eingelaſſen. Er ſchwieg auch, ließ
den andern reden, und ſeifte mausſtill den Mann
ein, der ihm ſaß.
Der Vogt aber fuhr tuͤchtig fort, und ſagte:
Der Scheerer iſt ein ausgemachter Herr! er darf
unſer einem wohl nicht antworten. Er traͤgt ja
Spitzhoſen — Stadtſchuhe — und am Sonntag
Manſchetten. Er hat Haͤnde ſo zart, wie ein Jun-
ker — und Waden, wie ein Stadtſchreiber.
Die Bauern liebten den Scheerer, hatten das
auch ſchon gehoͤrt — und lachten nicht uͤber des
Vogts Witz.
Nur der junge Gallj, der eben ſaß, mußte uͤber
die Stadtſchreiberwaden lachen; denn er kam eben
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/70>, abgerufen am 26.11.2024.
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