§. 10. Des Scheerers Hund sauft Wasser zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Un- tervogt ein Spiel, das recht gut stand.
Die meisten waren schon tüchtig besoffen. Chri- sten, der Ständlisänger, der neben dem Vogt saß, am stärksten. Dieser schrie einsmals: Laßt mich hervor. Der Vogt und die Nachbaren stuhnden auf, und machten ihm Platz. Aber er schwankte über den Tisch, und stieß des Vogts Wasserkrug um. Erschrocken wischt dieser, so geschwind er kann, das verschüttete Wasser vom Tisch ab, damit Nie- mand das Verschüttete auffasse, und den Betrug merke. Aber des Scheerers Hund, der unter dem Tische war, war durstig, lappete das ver- schüttete Wasser vom Boden, und unglücklicher Weise sah es ein Nachbar, der wehmüthig nach dem guten Wein unter dem Tische hinab guckte, daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun- der und Zeichen, Vogt! seit wenn saufen die Hunde Wein?
Du Narr! seit langem, antwortet der Vogt, und winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, und
stoßt
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§. 10. Des Scheerers Hund ſauft Waſſer zur Unzeit, und verderbt dem Herrn Un- tervogt ein Spiel, das recht gut ſtand.
Die meiſten waren ſchon tuͤchtig beſoffen. Chri- ſten, der Staͤndliſaͤnger, der neben dem Vogt ſaß, am ſtaͤrkſten. Dieſer ſchrie einsmals: Laßt mich hervor. Der Vogt und die Nachbaren ſtuhnden auf, und machten ihm Platz. Aber er ſchwankte uͤber den Tiſch, und ſtieß des Vogts Waſſerkrug um. Erſchrocken wiſcht dieſer, ſo geſchwind er kann, das verſchuͤttete Waſſer vom Tiſch ab, damit Nie- mand das Verſchuͤttete auffaſſe, und den Betrug merke. Aber des Scheerers Hund, der unter dem Tiſche war, war durſtig, lappete das ver- ſchuͤttete Waſſer vom Boden, und ungluͤcklicher Weiſe ſah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach dem guten Wein unter dem Tiſche hinab guckte, daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun- der und Zeichen, Vogt! ſeit wenn ſaufen die Hunde Wein?
Du Narr! ſeit langem, antwortet der Vogt, und winkt ihm mit der Hand und mit dem Kopf, und
ſtoßt
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§. 10.
Des Scheerers Hund ſauft Waſſer zur
Unzeit, und verderbt dem Herrn Un-
tervogt ein Spiel, das recht gut ſtand.
Die meiſten waren ſchon tuͤchtig beſoffen. Chri-
ſten, der Staͤndliſaͤnger, der neben dem Vogt ſaß,
am ſtaͤrkſten. Dieſer ſchrie einsmals: Laßt mich
hervor. Der Vogt und die Nachbaren ſtuhnden
auf, und machten ihm Platz. Aber er ſchwankte
uͤber den Tiſch, und ſtieß des Vogts Waſſerkrug
um. Erſchrocken wiſcht dieſer, ſo geſchwind er kann,
das verſchuͤttete Waſſer vom Tiſch ab, damit Nie-
mand das Verſchuͤttete auffaſſe, und den Betrug
merke. Aber des Scheerers Hund, der unter
dem Tiſche war, war durſtig, lappete das ver-
ſchuͤttete Waſſer vom Boden, und ungluͤcklicher
Weiſe ſah es ein Nachbar, der wehmuͤthig nach
dem guten Wein unter dem Tiſche hinab guckte,
daß Hector ihn aufleckte. Er rief dem Vogt; Wun-
der und Zeichen, Vogt! ſeit wenn ſaufen die Hunde
Wein?
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/80>, abgerufen am 26.11.2024.
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