Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Gertrud. O, du erzählest nicht recht, Lien-
hard! ich weiß, er hat nicht so angefangen.

Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel!
wie denn anders?

Gertrud. Du hast ihn zu erst gegrüßt, und
er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?

Lienhard. Du Hexli! du hast doch recht; ich
habe nicht von vornen angefangen.

Gertrud. Gelt, Lienj!

Lienhard. Nun, er frug mich, so bald er
mich sah, ob ich ihn nicht mehr fürchtete? Ich bückte
mich so tief und so gut ich konnte, und sagte: Ver-
zeih er mir, Gnädiger Herr! Er lachte, und ließ
mir gleich einen Krug Wein vorsetzen.

Gertrud. Nun, das ist doch wirklich ein ganz
andrer Anfang. Warst du fein bald fertig mit
dem Krug? Ohne Zweifel.

Lienhard. Nein, Frau. Ich that so züchtig,
wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anrühren;
Aber er verstuhnd's anders. Ich weiß wohl, daß
du den Wein auch kennest, schenk dir nur ein, sagte
er. Ich that sachte, was er sagte, trank eins
auf sein Wohlseyn; Aber er sah mich so steif an,
daß mir das Glas am Mund zitterte.

Gertrud. Das gute Gewissen, Lienj! das
kam dir eben jezt in die Finger; aber du hast dich
doch wieder vom Schrecken erholt?

Lien-

Gertrud. O, du erzaͤhleſt nicht recht, Lien-
hard! ich weiß, er hat nicht ſo angefangen.

Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel!
wie denn anders?

Gertrud. Du haſt ihn zu erſt gegruͤßt, und
er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?

Lienhard. Du Hexli! du haſt doch recht; ich
habe nicht von vornen angefangen.

Gertrud. Gelt, Lienj!

Lienhard. Nun, er frug mich, ſo bald er
mich ſah, ob ich ihn nicht mehr fuͤrchtete? Ich buͤckte
mich ſo tief und ſo gut ich konnte, und ſagte: Ver-
zeih er mir, Gnaͤdiger Herr! Er lachte, und ließ
mir gleich einen Krug Wein vorſetzen.

Gertrud. Nun, das iſt doch wirklich ein ganz
andrer Anfang. Warſt du fein bald fertig mit
dem Krug? Ohne Zweifel.

Lienhard. Nein, Frau. Ich that ſo zuͤchtig,
wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anruͤhren;
Aber er verſtuhnd’s anders. Ich weiß wohl, daß
du den Wein auch kenneſt, ſchenk dir nur ein, ſagte
er. Ich that ſachte, was er ſagte, trank eins
auf ſein Wohlſeyn; Aber er ſah mich ſo ſteif an,
daß mir das Glas am Mund zitterte.

Gertrud. Das gute Gewiſſen, Lienj! das
kam dir eben jezt in die Finger; aber du haſt dich
doch wieder vom Schrecken erholt?

Lien-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0099" n="74"/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> O, du erza&#x0364;hle&#x017F;t nicht recht, Lien-<lb/>
hard! ich weiß, er hat nicht &#x017F;o angefangen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Warum das nicht, du Schnabel!<lb/>
wie denn anders?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> Du ha&#x017F;t ihn zu er&#x017F;t gegru&#x0364;ßt, und<lb/>
er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Du Hexli! du ha&#x017F;t doch recht; ich<lb/>
habe nicht von vornen angefangen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> Gelt, Lienj!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Nun, er frug mich, &#x017F;o bald er<lb/>
mich &#x017F;ah, ob ich ihn nicht mehr fu&#x0364;rchtete? Ich bu&#x0364;ckte<lb/>
mich &#x017F;o tief und &#x017F;o gut ich konnte, und &#x017F;agte: Ver-<lb/>
zeih er mir, Gna&#x0364;diger Herr! Er lachte, und ließ<lb/>
mir gleich einen Krug Wein vor&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> Nun, das i&#x017F;t doch wirklich ein ganz<lb/>
andrer Anfang. War&#x017F;t du fein bald fertig mit<lb/>
dem Krug? Ohne Zweifel.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Nein, Frau. Ich that &#x017F;o zu&#x0364;chtig,<lb/>
wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anru&#x0364;hren;<lb/>
Aber er ver&#x017F;tuhnd&#x2019;s anders. Ich weiß wohl, daß<lb/>
du den Wein auch kenne&#x017F;t, &#x017F;chenk dir nur ein, &#x017F;agte<lb/>
er. Ich that &#x017F;achte, was er &#x017F;agte, trank eins<lb/>
auf &#x017F;ein Wohl&#x017F;eyn; Aber er &#x017F;ah mich &#x017F;o &#x017F;teif an,<lb/>
daß mir das Glas am Mund zitterte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> Das gute Gewi&#x017F;&#x017F;en, Lienj! das<lb/>
kam dir eben jezt in die Finger; aber du ha&#x017F;t dich<lb/>
doch wieder vom Schrecken erholt?</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Lien-</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0099] Gertrud. O, du erzaͤhleſt nicht recht, Lien- hard! ich weiß, er hat nicht ſo angefangen. Lienhard. Warum das nicht, du Schnabel! wie denn anders? Gertrud. Du haſt ihn zu erſt gegruͤßt, und er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht? Lienhard. Du Hexli! du haſt doch recht; ich habe nicht von vornen angefangen. Gertrud. Gelt, Lienj! Lienhard. Nun, er frug mich, ſo bald er mich ſah, ob ich ihn nicht mehr fuͤrchtete? Ich buͤckte mich ſo tief und ſo gut ich konnte, und ſagte: Ver- zeih er mir, Gnaͤdiger Herr! Er lachte, und ließ mir gleich einen Krug Wein vorſetzen. Gertrud. Nun, das iſt doch wirklich ein ganz andrer Anfang. Warſt du fein bald fertig mit dem Krug? Ohne Zweifel. Lienhard. Nein, Frau. Ich that ſo zuͤchtig, wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anruͤhren; Aber er verſtuhnd’s anders. Ich weiß wohl, daß du den Wein auch kenneſt, ſchenk dir nur ein, ſagte er. Ich that ſachte, was er ſagte, trank eins auf ſein Wohlſeyn; Aber er ſah mich ſo ſteif an, daß mir das Glas am Mund zitterte. Gertrud. Das gute Gewiſſen, Lienj! das kam dir eben jezt in die Finger; aber du haſt dich doch wieder vom Schrecken erholt? Lien-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/99
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/99>, abgerufen am 24.11.2024.