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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Sie ließen ihn aber reden, und sagten
ihm kurz, sie helffen ihm nicht.

Er hielt lange in allen Eken an, aber es
gab ihm keiner Gehör. Endlich gab ihm der
Hügi den Rath: "Wenn du das Verzeich-
niß doch haben must, und dir Niemand helf-
fen will messen und zählen, so laß du das
messen auch bleiben, und dir von Jedem an-
geben, wie viel Heu und Vieh er noch ha-
be, dann hast wenigstens gethan, was du
hast können."

"Aber ich will Heu und Futter beym Eid
wissen" -- sagte der Vogt.

"Das versteht sich, beym Eid" -- sagten
die Bauren, und lachten einander an.

Vogt. Jch will izt grad anfangen: Und
ihr seyd doch auch zu Hause, wenn ich
komme?

"Wie sollten wir anderst dörffen?" ant-
worteten einige, die just das Gegentheil im
Sinn hatten.

"Nein, man muß hierüber izt nicht ver-
saumen," sagte der Hügi. -- Und es war
gut, daß er diesen Fürsprech aus ihrem Mit-
tel hatte; denn ihrer etliche hätten ihn sonst
gewiß das Dorf zehnmal durchlauffen lassen,
ohne daß er sie angetroffen hätte.

So aber brachte er das Verzeichniß end-
lich zu Stand. Beym heimgehen traf er

dann

Sie ließen ihn aber reden, und ſagten
ihm kurz, ſie helffen ihm nicht.

Er hielt lange in allen Eken an, aber es
gab ihm keiner Gehoͤr. Endlich gab ihm der
Huͤgi den Rath: „Wenn du das Verzeich-
niß doch haben muſt, und dir Niemand helf-
fen will meſſen und zaͤhlen, ſo laß du das
meſſen auch bleiben, und dir von Jedem an-
geben, wie viel Heu und Vieh er noch ha-
be, dann haſt wenigſtens gethan, was du
haſt koͤnnen.“

„Aber ich will Heu und Futter beym Eid
wiſſen“ — ſagte der Vogt.

„Das verſteht ſich, beym Eid“ — ſagten
die Bauren, und lachten einander an.

Vogt. Jch will izt grad anfangen: Und
ihr ſeyd doch auch zu Hauſe, wenn ich
komme?

„Wie ſollten wir anderſt doͤrffen?“ ant-
worteten einige, die juſt das Gegentheil im
Sinn hatten.

„Nein, man muß hieruͤber izt nicht ver-
ſaumen,“ ſagte der Huͤgi. — Und es war
gut, daß er dieſen Fuͤrſprech aus ihrem Mit-
tel hatte; denn ihrer etliche haͤtten ihn ſonſt
gewiß das Dorf zehnmal durchlauffen laſſen,
ohne daß er ſie angetroffen haͤtte.

So aber brachte er das Verzeichniß end-
lich zu Stand. Beym heimgehen traf er

dann
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[138/0156] Sie ließen ihn aber reden, und ſagten ihm kurz, ſie helffen ihm nicht. Er hielt lange in allen Eken an, aber es gab ihm keiner Gehoͤr. Endlich gab ihm der Huͤgi den Rath: „Wenn du das Verzeich- niß doch haben muſt, und dir Niemand helf- fen will meſſen und zaͤhlen, ſo laß du das meſſen auch bleiben, und dir von Jedem an- geben, wie viel Heu und Vieh er noch ha- be, dann haſt wenigſtens gethan, was du haſt koͤnnen.“ „Aber ich will Heu und Futter beym Eid wiſſen“ — ſagte der Vogt. „Das verſteht ſich, beym Eid“ — ſagten die Bauren, und lachten einander an. Vogt. Jch will izt grad anfangen: Und ihr ſeyd doch auch zu Hauſe, wenn ich komme? „Wie ſollten wir anderſt doͤrffen?“ ant- worteten einige, die juſt das Gegentheil im Sinn hatten. „Nein, man muß hieruͤber izt nicht ver- ſaumen,“ ſagte der Huͤgi. — Und es war gut, daß er dieſen Fuͤrſprech aus ihrem Mit- tel hatte; denn ihrer etliche haͤtten ihn ſonſt gewiß das Dorf zehnmal durchlauffen laſſen, ohne daß er ſie angetroffen haͤtte. So aber brachte er das Verzeichniß end- lich zu Stand. Beym heimgehen traf er dann

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/156>, abgerufen am 21.11.2024.