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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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"ben lassen wollen? -- Aber es ist traurig,
"daß ihr meynet, es sey dann alles gut,
"wenn ihr euere Obrigkeit nur mit einem
"Lug hintergehen könnet: Schämet euch --
"Jch weiß, daß in allen denen Bänken kein
"Mann sizt, der nicht in seiner Seele über-
"zeugt war, daß von allem, was ihr mir
"habet angeben wollen, kein einiges Wort
"wahr ist, und doch habet ihr eine ganze
"halbe Stunde nach einander mir alles, wie
"wenn es pure reine Wahrheit wäre, vor
"der ganzen Gemeinde ins Angesicht behaup-
"ten dörffen, und wenn ich euch heimgelas-
"sen hätte, das Spiel auszumachen, so
"wäre es noch euerer Freuden eine gewesen,
"euer Gespött über mich zu treiben. -- Aber
"glaubet nur nicht, daß es Glük und Se-
"gen in euer Dorf und in euere Haushal-
"tungen bringen werde, wenn ihr also mit
"euerer Obrigkeit umgehet."

Jn allen Bänken fieng izt das Volk an
unwillig zu werden, und zu sagen, sie hät-
ten das nicht thun sollen. -- Selbst der
Hartknopf gab ihnen izt Unrecht, und be-
hauptete, wenn er hundert Klafter Heu ge-
habt hätte, so hätte ers angegeben; aber er
hatte keinen Schuh breit Land, und war
ein Strümpfweber. -- Aber seine Nach-
barn antworteten ihm dennoch auf diese

Re-
M 3

„ben laſſen wollen? — Aber es iſt traurig,
„daß ihr meynet, es ſey dann alles gut,
„wenn ihr euere Obrigkeit nur mit einem
„Lug hintergehen koͤnnet: Schaͤmet euch —
„Jch weiß, daß in allen denen Baͤnken kein
„Mann ſizt, der nicht in ſeiner Seele uͤber-
„zeugt war, daß von allem, was ihr mir
„habet angeben wollen, kein einiges Wort
„wahr iſt, und doch habet ihr eine ganze
„halbe Stunde nach einander mir alles, wie
„wenn es pure reine Wahrheit waͤre, vor
„der ganzen Gemeinde ins Angeſicht behaup-
„ten doͤrffen, und wenn ich euch heimgelaſ-
„ſen haͤtte, das Spiel auszumachen, ſo
„waͤre es noch euerer Freuden eine geweſen,
„euer Geſpoͤtt uͤber mich zu treiben. — Aber
„glaubet nur nicht, daß es Gluͤk und Se-
„gen in euer Dorf und in euere Haushal-
„tungen bringen werde, wenn ihr alſo mit
„euerer Obrigkeit umgehet.“

Jn allen Baͤnken fieng izt das Volk an
unwillig zu werden, und zu ſagen, ſie haͤt-
ten das nicht thun ſollen. — Selbſt der
Hartknopf gab ihnen izt Unrecht, und be-
hauptete, wenn er hundert Klafter Heu ge-
habt haͤtte, ſo haͤtte ers angegeben; aber er
hatte keinen Schuh breit Land, und war
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[181/0199] „ben laſſen wollen? — Aber es iſt traurig, „daß ihr meynet, es ſey dann alles gut, „wenn ihr euere Obrigkeit nur mit einem „Lug hintergehen koͤnnet: Schaͤmet euch — „Jch weiß, daß in allen denen Baͤnken kein „Mann ſizt, der nicht in ſeiner Seele uͤber- „zeugt war, daß von allem, was ihr mir „habet angeben wollen, kein einiges Wort „wahr iſt, und doch habet ihr eine ganze „halbe Stunde nach einander mir alles, wie „wenn es pure reine Wahrheit waͤre, vor „der ganzen Gemeinde ins Angeſicht behaup- „ten doͤrffen, und wenn ich euch heimgelaſ- „ſen haͤtte, das Spiel auszumachen, ſo „waͤre es noch euerer Freuden eine geweſen, „euer Geſpoͤtt uͤber mich zu treiben. — Aber „glaubet nur nicht, daß es Gluͤk und Se- „gen in euer Dorf und in euere Haushal- „tungen bringen werde, wenn ihr alſo mit „euerer Obrigkeit umgehet.“ Jn allen Baͤnken fieng izt das Volk an unwillig zu werden, und zu ſagen, ſie haͤt- ten das nicht thun ſollen. — Selbſt der Hartknopf gab ihnen izt Unrecht, und be- hauptete, wenn er hundert Klafter Heu ge- habt haͤtte, ſo haͤtte ers angegeben; aber er hatte keinen Schuh breit Land, und war ein Struͤmpfweber. — Aber ſeine Nach- barn antworteten ihm dennoch auf dieſe Re- M 3

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/199>, abgerufen am 21.11.2024.