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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Geschw. So muß ich meinem auch ruf-
fen. --

"He Vogt! He Geschwornen! Jch hab
mein Nastuch verlohren -- hats keiner von
euch gefunden?" rieff izt die Vögtin, damit
Niemand merke, was sie wolle. -- "Du
Narr! hättst Sorg g'habt, antwortet der
Vogt, und gieng ohne zurükzusehen mit dem
Geschwornen weiter. -- "Steh' nur einen
Augenblik still, du must mir deines geben"
-- rieff die Vögtin noch einmal, und lachte
laut dazu. -- Schnurrend sah der Vogt zu-
rük; "Was ists? was hast immer z'ganzen
auf der Straß?" -- Sie aber winkte ihm,
daß er merkte, sie wolle etwas anders als
das Nastuch, und er stand still.

Ja Gelustsachen ist seit Adams Zeiten her
wahr -- wenn die Weiber den Apfel vom
Baum nehmen, so beißen die Männer auch
drein. -- Der Vogt und der Geschworne
folgten izt ihren Weibern durchs Tobel hinter
den Reben herum, über Zäune und Stök,
und kamen glüklich und ungesehen ins Dorf.

Sie waren aber nicht allein; Auf allen
Seiten schlichen die hochmüthigsten u. kühn-
sten nach Bonnal, und bettelten sich um Geld
und gute Worte in die bewachte Kirche hin-
ein. --

Es

Geſchw. So muß ich meinem auch ruf-
fen. —

„He Vogt! He Geſchwornen! Jch hab
mein Nastuch verlohren — hats keiner von
euch gefunden?“ rieff izt die Voͤgtin, damit
Niemand merke, was ſie wolle. — „Du
Narr! haͤttſt Sorg g'habt, antwortet der
Vogt, und gieng ohne zuruͤkzuſehen mit dem
Geſchwornen weiter. — „Steh' nur einen
Augenblik ſtill, du muſt mir deines geben“
— rieff die Voͤgtin noch einmal, und lachte
laut dazu. — Schnurrend ſah der Vogt zu-
ruͤk; „Was iſts? was haſt immer z'ganzen
auf der Straß?“ — Sie aber winkte ihm,
daß er merkte, ſie wolle etwas anders als
das Nastuch, und er ſtand ſtill.

Ja Geluſtſachen iſt ſeit Adams Zeiten her
wahr — wenn die Weiber den Apfel vom
Baum nehmen, ſo beißen die Maͤnner auch
drein. — Der Vogt und der Geſchworne
folgten izt ihren Weibern durchs Tobel hinter
den Reben herum, uͤber Zaͤune und Stoͤk,
und kamen gluͤklich und ungeſehen ins Dorf.

Sie waren aber nicht allein; Auf allen
Seiten ſchlichen die hochmuͤthigſten u. kuͤhn-
ſten nach Bonnal, und bettelten ſich um Geld
und gute Worte in die bewachte Kirche hin-
ein. —

Es
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[8/0026] Geſchw. So muß ich meinem auch ruf- fen. — „He Vogt! He Geſchwornen! Jch hab mein Nastuch verlohren — hats keiner von euch gefunden?“ rieff izt die Voͤgtin, damit Niemand merke, was ſie wolle. — „Du Narr! haͤttſt Sorg g'habt, antwortet der Vogt, und gieng ohne zuruͤkzuſehen mit dem Geſchwornen weiter. — „Steh' nur einen Augenblik ſtill, du muſt mir deines geben“ — rieff die Voͤgtin noch einmal, und lachte laut dazu. — Schnurrend ſah der Vogt zu- ruͤk; „Was iſts? was haſt immer z'ganzen auf der Straß?“ — Sie aber winkte ihm, daß er merkte, ſie wolle etwas anders als das Nastuch, und er ſtand ſtill. Ja Geluſtſachen iſt ſeit Adams Zeiten her wahr — wenn die Weiber den Apfel vom Baum nehmen, ſo beißen die Maͤnner auch drein. — Der Vogt und der Geſchworne folgten izt ihren Weibern durchs Tobel hinter den Reben herum, uͤber Zaͤune und Stoͤk, und kamen gluͤklich und ungeſehen ins Dorf. Sie waren aber nicht allein; Auf allen Seiten ſchlichen die hochmuͤthigſten u. kuͤhn- ſten nach Bonnal, und bettelten ſich um Geld und gute Worte in die bewachte Kirche hin- ein. — Es

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/26>, abgerufen am 21.11.2024.