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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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einander, da ist eine Obrigkeit nur halb
meister.

An diesem verfluchten Wort ist kein Düpf-
li wahr, und wenns eine Oberkeit selber
glaubt, so ist sie blind, und versteht ihren eig-
nen Vortheil so wenig als den Vortheil ih-
res Lands.

Aber wenn solche Pursche von der Ober-
keit reden, so meynen sie nur sich selber, u.
die Oberkeit, die sie in Mund nehmen, liegt
ihnen am Herzen, wie den Waidbuben der
Stamme am Baum, an dem sie hinauf
klettern, seine Früchte zu frefeln.

Wenn diese Buben auf dem Baum
ihre Säke gefüllt, steigen sie am Stamm
wieder hinunter, legen sich an den Schat-
ten des Baums, und zünden in der Höh-
lung des Stammes noch Feuer an, ihre Ae-
pfel zu braten -- ob der Baum davon ver-
dorre, und übers Jahr keine Früchte mehr
bringe, liegt ihnen am Herzen, just wie sol-
chen Vögten der Nuzen der Oberkeit.

Nein, wer Schelm ist und Dieb und un-
gerechter Mann, und hartherziger Mensch,
dem liegt der Nuzen von keiner Oberkeit am
Herzen, und wenn der Hummel diesen Na-
men in Mund nahm, so war es nur unter
seinem Schuz, schwache arme hilflose Men-
schen ins Unglük zu bringen.

Jch

einander, da iſt eine Obrigkeit nur halb
meiſter.

An dieſem verfluchten Wort iſt kein Duͤpf-
li wahr, und wenns eine Oberkeit ſelber
glaubt, ſo iſt ſie blind, und verſteht ihren eig-
nen Vortheil ſo wenig als den Vortheil ih-
res Lands.

Aber wenn ſolche Purſche von der Ober-
keit reden, ſo meynen ſie nur ſich ſelber, u.
die Oberkeit, die ſie in Mund nehmen, liegt
ihnen am Herzen, wie den Waidbuben der
Stamme am Baum, an dem ſie hinauf
klettern, ſeine Fruͤchte zu frefeln.

Wenn dieſe Buben auf dem Baum
ihre Saͤke gefuͤllt, ſteigen ſie am Stamm
wieder hinunter, legen ſich an den Schat-
ten des Baums, und zuͤnden in der Hoͤh-
lung des Stam̃es noch Feuer an, ihre Ae-
pfel zu braten — ob der Baum davon ver-
dorre, und uͤbers Jahr keine Fruͤchte mehr
bringe, liegt ihnen am Herzen, juſt wie ſol-
chen Voͤgten der Nuzen der Oberkeit.

Nein, wer Schelm iſt und Dieb und un-
gerechter Mann, und hartherziger Menſch,
dem liegt der Nuzen von keiner Oberkeit am
Herzen, und wenn der Hummel dieſen Na-
men in Mund nahm, ſo war es nur unter
ſeinem Schuz, ſchwache arme hilfloſe Men-
ſchen ins Ungluͤk zu bringen.

Jch
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[298/0316] einander, da iſt eine Obrigkeit nur halb meiſter. An dieſem verfluchten Wort iſt kein Duͤpf- li wahr, und wenns eine Oberkeit ſelber glaubt, ſo iſt ſie blind, und verſteht ihren eig- nen Vortheil ſo wenig als den Vortheil ih- res Lands. Aber wenn ſolche Purſche von der Ober- keit reden, ſo meynen ſie nur ſich ſelber, u. die Oberkeit, die ſie in Mund nehmen, liegt ihnen am Herzen, wie den Waidbuben der Stamme am Baum, an dem ſie hinauf klettern, ſeine Fruͤchte zu frefeln. Wenn dieſe Buben auf dem Baum ihre Saͤke gefuͤllt, ſteigen ſie am Stamm wieder hinunter, legen ſich an den Schat- ten des Baums, und zuͤnden in der Hoͤh- lung des Stam̃es noch Feuer an, ihre Ae- pfel zu braten — ob der Baum davon ver- dorre, und uͤbers Jahr keine Fruͤchte mehr bringe, liegt ihnen am Herzen, juſt wie ſol- chen Voͤgten der Nuzen der Oberkeit. Nein, wer Schelm iſt und Dieb und un- gerechter Mann, und hartherziger Menſch, dem liegt der Nuzen von keiner Oberkeit am Herzen, und wenn der Hummel dieſen Na- men in Mund nahm, ſo war es nur unter ſeinem Schuz, ſchwache arme hilfloſe Men- ſchen ins Ungluͤk zu bringen. Jch

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/316>, abgerufen am 21.11.2024.