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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Wen er am härtesten drükte, waren Leute,
von denen er Böses wußte, und die sich förch-
ten mußten, er bringe es ihnen aus; -- auch
wer ihn selber zu betriegen, oder ihm etwas
abzuläugnen probierte, war im gleichen Fall.

Solchen Leuten doppelt aufzuschreiben was
sie schuldig, oder eine Prise Tabak zu neh-
men, machte dem Vogt gleich viel Mühe. --

Wenn so einer ein Maul aufthat, als ob
er sich klagen wollte, so war die Antwort
kurz: du Schelm, du Dieb, willt du mirs
wieder machen wie gestern? -- meynst ich
hab' deine Schelmen-Handschrift verloren?
u. s. w.

Es war ihm allemal, wenn er jemand Un-
recht that, wie ein Balsam über das Herz,
wenn er sich auch nur einbilden und vorstel-
len konnte, der Mann, den er unter den Hän-
den hatte, sey ein Schelm, und habe ihm
auch Unrecht gethan, oder wenigstens thun
wollen.

Als er den Schaffner Knipperschild bey
Abzahlung eines Kapitals um 50. fl. betro-
gen, erzählte er den ganzen Heimweg seinen
Kameraden, wie daß der Schaffner ein Hund
seye, der einem das Blut unter den Nägeln
hervor drüke, und wie er ihm in den zwanzig
Jahren, da er das Kapital verzinset, kein
einziges Mal kein Glas Wein, und kein

Trink-
U 2

Wen er am haͤrteſten druͤkte, waren Leute,
von denen er Boͤſes wußte, und die ſich foͤrch-
ten mußten, er bringe es ihnen aus; — auch
wer ihn ſelber zu betriegen, oder ihm etwas
abzulaͤugnen probierte, war im gleichen Fall.

Solchen Leuten doppelt aufzuſchreiben was
ſie ſchuldig, oder eine Priſe Tabak zu neh-
men, machte dem Vogt gleich viel Muͤhe. —

Wenn ſo einer ein Maul aufthat, als ob
er ſich klagen wollte, ſo war die Antwort
kurz: du Schelm, du Dieb, willt du mirs
wieder machen wie geſtern? — meynſt ich
hab' deine Schelmen-Handſchrift verloren?
u. ſ. w.

Es war ihm allemal, wenn er jemand Un-
recht that, wie ein Balſam uͤber das Herz,
wenn er ſich auch nur einbilden und vorſtel-
len konnte, der Mann, den er unter den Haͤn-
den hatte, ſey ein Schelm, und habe ihm
auch Unrecht gethan, oder wenigſtens thun
wollen.

Als er den Schaffner Knipperſchild bey
Abzahlung eines Kapitals um 50. fl. betro-
gen, erzaͤhlte er den ganzen Heimweg ſeinen
Kameraden, wie daß der Schaffner ein Hund
ſeye, der einem das Blut unter den Naͤgeln
hervor druͤke, und wie er ihm in den zwanzig
Jahren, da er das Kapital verzinſet, kein
einziges Mal kein Glas Wein, und kein

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[307/0325] Wen er am haͤrteſten druͤkte, waren Leute, von denen er Boͤſes wußte, und die ſich foͤrch- ten mußten, er bringe es ihnen aus; — auch wer ihn ſelber zu betriegen, oder ihm etwas abzulaͤugnen probierte, war im gleichen Fall. Solchen Leuten doppelt aufzuſchreiben was ſie ſchuldig, oder eine Priſe Tabak zu neh- men, machte dem Vogt gleich viel Muͤhe. — Wenn ſo einer ein Maul aufthat, als ob er ſich klagen wollte, ſo war die Antwort kurz: du Schelm, du Dieb, willt du mirs wieder machen wie geſtern? — meynſt ich hab' deine Schelmen-Handſchrift verloren? u. ſ. w. Es war ihm allemal, wenn er jemand Un- recht that, wie ein Balſam uͤber das Herz, wenn er ſich auch nur einbilden und vorſtel- len konnte, der Mann, den er unter den Haͤn- den hatte, ſey ein Schelm, und habe ihm auch Unrecht gethan, oder wenigſtens thun wollen. Als er den Schaffner Knipperſchild bey Abzahlung eines Kapitals um 50. fl. betro- gen, erzaͤhlte er den ganzen Heimweg ſeinen Kameraden, wie daß der Schaffner ein Hund ſeye, der einem das Blut unter den Naͤgeln hervor druͤke, und wie er ihm in den zwanzig Jahren, da er das Kapital verzinſet, kein einziges Mal kein Glas Wein, und kein Trink- U 2

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/325>, abgerufen am 21.11.2024.