Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

seyen. Aber indem man redte und rathschla-
gete, schwellten die Wasser je länger je stär-
ker, und je länger je weniger wollte es je-
mand wagen. Der Lindenberger sagte nach
langem zum Vogt: Das beste wär, du näh-
mest selber ein Roß, und rittest voran.

Das dörfte der Vogt nicht, both immer
mehr Geld, wenn's einer wage. Aber die
Gefahr ward immer größer, und izt sagte
ein jeder: Was hat einer von seinem Geld,
wenn er ersäuft? -- und ersauffen muß ei-
ner, wenn der Stäg laßt, und er hinter
demselben geritten.

Es ist nicht möglich, sagte der Vogt, daß
der Stäg bey einer halben Stund noch ein-
stürze, er stehet auf neuen eichenen Pfälen,
die mehr als mannsdik; und indem er's sag-
te, ließ der Stäg, und der Strom zog plöz-
lich so an, daß wenn hundert Roß hinter
dem Stäg angeritten gewesen, sie alle vom
Wasser weggenohmen worden wären.

Der Vogt hatte izt kaum Zeit noch heim
zu lauffen, um Brief und Geld aus dem
Haus zu nehmen, so plözlich war es vom
Strom umringt. -- Er rieff izt, um Gottes
willen, man sollte ihm nur auch helffen,
das köstlichste aus dem Haus zu nehmen,
und so lang die untere Brüke noch stand,
war es ganz gewiß nicht sehr gefährlich ins

Haus

ſeyen. Aber indem man redte und rathſchla-
gete, ſchwellten die Waſſer je laͤnger je ſtaͤr-
ker, und je laͤnger je weniger wollte es je-
mand wagen. Der Lindenberger ſagte nach
langem zum Vogt: Das beſte waͤr, du naͤh-
meſt ſelber ein Roß, und ritteſt voran.

Das doͤrfte der Vogt nicht, both immer
mehr Geld, wenn's einer wage. Aber die
Gefahr ward immer groͤßer, und izt ſagte
ein jeder: Was hat einer von ſeinem Geld,
wenn er erſaͤuft? — und erſauffen muß ei-
ner, wenn der Staͤg laßt, und er hinter
demſelben geritten.

Es iſt nicht moͤglich, ſagte der Vogt, daß
der Staͤg bey einer halben Stund noch ein-
ſtuͤrze, er ſtehet auf neuen eichenen Pfaͤlen,
die mehr als mannsdik; und indem er's ſag-
te, ließ der Staͤg, und der Strom zog ploͤz-
lich ſo an, daß wenn hundert Roß hinter
dem Staͤg angeritten geweſen, ſie alle vom
Waſſer weggenohmen worden waͤren.

Der Vogt hatte izt kaum Zeit noch heim
zu lauffen, um Brief und Geld aus dem
Haus zu nehmen, ſo ploͤzlich war es vom
Strom umringt. — Er rieff izt, um Gottes
willen, man ſollte ihm nur auch helffen,
das koͤſtlichſte aus dem Haus zu nehmen,
und ſo lang die untere Bruͤke noch ſtand,
war es ganz gewiß nicht ſehr gefaͤhrlich ins

Haus
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0340" n="322"/>
&#x017F;eyen. Aber indem man redte und rath&#x017F;chla-<lb/>
gete, &#x017F;chwellten die Wa&#x017F;&#x017F;er je la&#x0364;nger je &#x017F;ta&#x0364;r-<lb/>
ker, und je la&#x0364;nger je weniger wollte es je-<lb/>
mand wagen. Der Lindenberger &#x017F;agte nach<lb/>
langem zum Vogt: Das be&#x017F;te wa&#x0364;r, du na&#x0364;h-<lb/>
me&#x017F;t &#x017F;elber ein Roß, und ritte&#x017F;t voran.</p><lb/>
          <p>Das do&#x0364;rfte der Vogt nicht, both immer<lb/>
mehr Geld, wenn's einer wage. Aber die<lb/>
Gefahr ward immer gro&#x0364;ßer, und izt &#x017F;agte<lb/>
ein jeder: Was hat einer von &#x017F;einem Geld,<lb/>
wenn er er&#x017F;a&#x0364;uft? &#x2014; und er&#x017F;auffen muß ei-<lb/>
ner, wenn der Sta&#x0364;g laßt, und er hinter<lb/>
dem&#x017F;elben geritten.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t nicht mo&#x0364;glich, &#x017F;agte der Vogt, daß<lb/>
der Sta&#x0364;g bey einer halben Stund noch ein-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rze, er &#x017F;tehet auf neuen eichenen Pfa&#x0364;len,<lb/>
die mehr als mannsdik; und indem er's &#x017F;ag-<lb/>
te, ließ der Sta&#x0364;g, und der Strom zog plo&#x0364;z-<lb/>
lich &#x017F;o an, daß wenn hundert Roß hinter<lb/>
dem Sta&#x0364;g angeritten gewe&#x017F;en, &#x017F;ie alle vom<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er weggenohmen worden wa&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Der Vogt hatte izt kaum Zeit noch heim<lb/>
zu lauffen, um Brief und Geld aus dem<lb/>
Haus zu nehmen, &#x017F;o plo&#x0364;zlich war es vom<lb/>
Strom umringt. &#x2014; Er rieff izt, um Gottes<lb/>
willen, man &#x017F;ollte ihm nur auch helffen,<lb/>
das ko&#x0364;&#x017F;tlich&#x017F;te aus dem Haus zu nehmen,<lb/>
und &#x017F;o lang die untere Bru&#x0364;ke noch &#x017F;tand,<lb/>
war es ganz gewiß nicht &#x017F;ehr gefa&#x0364;hrlich ins<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Haus</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0340] ſeyen. Aber indem man redte und rathſchla- gete, ſchwellten die Waſſer je laͤnger je ſtaͤr- ker, und je laͤnger je weniger wollte es je- mand wagen. Der Lindenberger ſagte nach langem zum Vogt: Das beſte waͤr, du naͤh- meſt ſelber ein Roß, und ritteſt voran. Das doͤrfte der Vogt nicht, both immer mehr Geld, wenn's einer wage. Aber die Gefahr ward immer groͤßer, und izt ſagte ein jeder: Was hat einer von ſeinem Geld, wenn er erſaͤuft? — und erſauffen muß ei- ner, wenn der Staͤg laßt, und er hinter demſelben geritten. Es iſt nicht moͤglich, ſagte der Vogt, daß der Staͤg bey einer halben Stund noch ein- ſtuͤrze, er ſtehet auf neuen eichenen Pfaͤlen, die mehr als mannsdik; und indem er's ſag- te, ließ der Staͤg, und der Strom zog ploͤz- lich ſo an, daß wenn hundert Roß hinter dem Staͤg angeritten geweſen, ſie alle vom Waſſer weggenohmen worden waͤren. Der Vogt hatte izt kaum Zeit noch heim zu lauffen, um Brief und Geld aus dem Haus zu nehmen, ſo ploͤzlich war es vom Strom umringt. — Er rieff izt, um Gottes willen, man ſollte ihm nur auch helffen, das koͤſtlichſte aus dem Haus zu nehmen, und ſo lang die untere Bruͤke noch ſtand, war es ganz gewiß nicht ſehr gefaͤhrlich ins Haus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/340
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/340>, abgerufen am 21.11.2024.