Sie aber saß in diesem bittern Stündlein der Trübsal ob dem Buch Hiob, und las das Leiden des Manns, vom ersten Capitel bis aufs lezte, und deutete alle Trübsal, die ihm der Teufel und sein Weib machten, nur auf sich, und ihren heutigen Jammer. -- Aber das Buch Job endete, und das Stündlein ih- rer Trübsal gieng leider erst an. Ihre Dienst- magd und Mithalterin wartete indessen, daß sie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie es unter der Linde ablaufen wolle, und sah nach langem Warten und Warten, daß das Spinnerbabelj endlich zum Tisch hervor wakle, aber es rükte nicht mit ihm, und es wollte auch nicht wieder vom Tisch weg wie die andern. -- Das dünkte sie schon kein gutes Zei- chen, aber da sie jezt gar den Harschier zum Junker hervorkommen sah, machte sie sich was giebst, was hast, aus dem Staub, und heim.
Sie war fast ausser Athem, und konnte der Meisterin kaum sagen, was ihr vorstuhnd. Diese aber, ob sie es gleich nur halb verstan- den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz allein an sich selber, und sagte, Herr Jesus! -- Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir wohl müssen in den Sinn geben, daß ich das Mensch habe unter die Linden schiken müssen;
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Sie aber ſaß in dieſem bittern Stuͤndlein der Truͤbſal ob dem Buch Hiob, und las das Leiden des Manns, vom erſten Capitel bis aufs lezte, und deutete alle Truͤbſal, die ihm der Teufel und ſein Weib machten, nur auf ſich, und ihren heutigen Jammer. — Aber das Buch Job endete, und das Stuͤndlein ih- rer Truͤbſal gieng leider erſt an. Ihre Dienſt- magd und Mithalterin wartete indeſſen, daß ſie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie es unter der Linde ablaufen wolle, und ſah nach langem Warten und Warten, daß das Spinnerbabelj endlich zum Tiſch hervor wakle, aber es ruͤkte nicht mit ihm, und es wollte auch nicht wieder vom Tiſch weg wie die andern. — Das duͤnkte ſie ſchon kein gutes Zei- chen, aber da ſie jezt gar den Harſchier zum Junker hervorkommen ſah, machte ſie ſich was giebſt, was haſt, aus dem Staub, und heim.
Sie war faſt auſſer Athem, und konnte der Meiſterin kaum ſagen, was ihr vorſtuhnd. Dieſe aber, ob ſie es gleich nur halb verſtan- den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz allein an ſich ſelber, und ſagte, Herr Jeſus! — Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir wohl muͤſſen in den Sinn geben, daß ich das Menſch habe unter die Linden ſchiken muͤſſen;
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Sie aber ſaß in dieſem bittern Stuͤndlein
der Truͤbſal ob dem Buch Hiob, und las das
Leiden des Manns, vom erſten Capitel bis
aufs lezte, und deutete alle Truͤbſal, die ihm
der Teufel und ſein Weib machten, nur auf
ſich, und ihren heutigen Jammer. — Aber
das Buch Job endete, und das Stuͤndlein ih-
rer Truͤbſal gieng leider erſt an. Ihre Dienſt-
magd und Mithalterin wartete indeſſen, daß
ſie im Job las, oben an der Kirchgaß, wie
es unter der Linde ablaufen wolle, und ſah
nach langem Warten und Warten, daß das
Spinnerbabelj endlich zum Tiſch hervor wakle,
aber es ruͤkte nicht mit ihm, und es wollte auch
nicht wieder vom Tiſch weg wie die andern.
— Das duͤnkte ſie ſchon kein gutes Zei-
chen, aber da ſie jezt gar den Harſchier zum
Junker hervorkommen ſah, machte ſie ſich
was giebſt, was haſt, aus dem Staub, und
heim.
Sie war faſt auſſer Athem, und konnte der
Meiſterin kaum ſagen, was ihr vorſtuhnd.
Dieſe aber, ob ſie es gleich nur halb verſtan-
den, vergaß den Job, und dachte jezt ganz
allein an ſich ſelber, und ſagte, Herr Jeſus!
— Ach mein Gott! Der Teufel hat es mir
wohl muͤſſen in den Sinn geben, daß ich das
Menſch habe unter die Linden ſchiken muͤſſen;
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/201>, abgerufen am 28.11.2024.
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