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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Sie hatte ihrem feißten Vetter versprochen,
er müsse das Mensch haben, so gewiß als die
Uhr schlagt, und jezt hörte sie das. Aber sie
kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelschlaf-
fen saß ihr noch auf der Stirn, und der Traum
über den Feißten lag ihr noch rings um das
Maul.

Die Vögtin sahs ihr beym Willkomm an,
und sagte, es scheint du habest nicht gut ge-
schlaffen?


Eben
schuldigende seiner Natur, und wird aus einem
Ungezogenheitsfehler ein Niederträchtigkeitsfeh-
ler. Die Erfahrung bestätiget diesen Grund-
saz völlig, und wird uns die Käzli und Saker-
strenz Flucher immer coeteris paribus niederträch-
tiger und verdreheter darstellen, als die so ihren
Kezer und Sakrament grad herausfluchen.
Die Sache ist in einem allgemeinen Gesichts-
punkt sehr wichtig, die Schwächen und Fehler
des menschlichen Lebens werden genau dadurch
giftig, daß man mit sich selber künstelt, an dem
zu sau gen, was man sich nicht getraut gerade her-
unter zu schluken. Je schwächer, sinnlicher und
chinesischer die Menschen werden, je mehr ma-
chen sie es so, und wir erhalten durch dieses Bede-
ken aller roher Aeusserungen unsers innern Sinns,
und durch die immer steigende Künste an dem zu
saugen, was wir nicht fressen dörfen, eine Art
Menschen, unter denen es nach dem Ausdruk
eines Weibs, zum verbrennen schöne Kezer, und
zum Küssen gute Teufel giebt.

Sie hatte ihrem feißten Vetter verſprochen,
er muͤſſe das Menſch haben, ſo gewiß als die
Uhr ſchlagt, und jezt hoͤrte ſie das. Aber ſie
kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelſchlaf-
fen ſaß ihr noch auf der Stirn, und der Traum
uͤber den Feißten lag ihr noch rings um das
Maul.

Die Voͤgtin ſahs ihr beym Willkomm an,
und ſagte, es ſcheint du habeſt nicht gut ge-
ſchlaffen?


Eben
ſchuldigende ſeiner Natur, und wird aus einem
Ungezogenheitsfehler ein Niedertraͤchtigkeitsfeh-
ler. Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſen Grund-
ſaz voͤllig, und wird uns die Kaͤzli und Saker-
ſtrenz Flucher immer cœteris paribus niedertraͤch-
tiger und verdreheter darſtellen, als die ſo ihren
Kezer und Sakrament grad herausfluchen.
Die Sache iſt in einem allgemeinen Geſichts-
punkt ſehr wichtig, die Schwaͤchen und Fehler
des menſchlichen Lebens werden genau dadurch
giftig, daß man mit ſich ſelber kuͤnſtelt, an dem
zu ſau gen, was man ſich nicht getraut gerade her-
unter zu ſchluken. Je ſchwaͤcher, ſinnlicher und
chineſiſcher die Menſchen werden, je mehr ma-
chen ſie es ſo, und wir erhalten durch dieſes Bede-
ken aller roher Aeuſſerungen unſers innern Sinns,
und durch die immer ſteigende Kuͤnſte an dem zu
ſaugen, was wir nicht freſſen doͤrfen, eine Art
Menſchen, unter denen es nach dem Ausdruk
eines Weibs, zum verbrennen ſchoͤne Kezer, und
zum Kuͤſſen gute Teufel giebt.
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[192/0214] Sie hatte ihrem feißten Vetter verſprochen, er muͤſſe das Menſch haben, ſo gewiß als die Uhr ſchlagt, und jezt hoͤrte ſie das. Aber ſie kam der Meyerin nicht wohl, das Uebelſchlaf- fen ſaß ihr noch auf der Stirn, und der Traum uͤber den Feißten lag ihr noch rings um das Maul. Die Voͤgtin ſahs ihr beym Willkomm an, und ſagte, es ſcheint du habeſt nicht gut ge- ſchlaffen? Eben *) *) ſchuldigende ſeiner Natur, und wird aus einem Ungezogenheitsfehler ein Niedertraͤchtigkeitsfeh- ler. Die Erfahrung beſtaͤtiget dieſen Grund- ſaz voͤllig, und wird uns die Kaͤzli und Saker- ſtrenz Flucher immer cœteris paribus niedertraͤch- tiger und verdreheter darſtellen, als die ſo ihren Kezer und Sakrament grad herausfluchen. Die Sache iſt in einem allgemeinen Geſichts- punkt ſehr wichtig, die Schwaͤchen und Fehler des menſchlichen Lebens werden genau dadurch giftig, daß man mit ſich ſelber kuͤnſtelt, an dem zu ſau gen, was man ſich nicht getraut gerade her- unter zu ſchluken. Je ſchwaͤcher, ſinnlicher und chineſiſcher die Menſchen werden, je mehr ma- chen ſie es ſo, und wir erhalten durch dieſes Bede- ken aller roher Aeuſſerungen unſers innern Sinns, und durch die immer ſteigende Kuͤnſte an dem zu ſaugen, was wir nicht freſſen doͤrfen, eine Art Menſchen, unter denen es nach dem Ausdruk eines Weibs, zum verbrennen ſchoͤne Kezer, und zum Kuͤſſen gute Teufel giebt.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/214>, abgerufen am 27.11.2024.