Die Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter Streit, als der Zug ihr fürs Haus kam, sie zankte schon ein paar Stunden mit ihr, daß sie sich dieses Lumpenzugs also angenom- men, und ihre Kinder mit dem Bettelgesindel mit laufen lassen, und denn gar, daß sie bey ihren Schwestern Hemder, und Strümpf, und Schuh dafür entlehnt.
Meynst du, sagte sie zu ihr, ich hab nicht genug, daß du so ungerathen bist, und dir alle Leuthe über den Kopf richtest? willst jezt auch noch deine Schwestern ins Geschrey brin- gen, daß sie seyen wie du? und machen, daß sie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr wäre, oder Straf verdient hätte, er hätte dich gewiß auch nicht genommen, so hat er eine Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott mit den andern Kindern nicht so gehen. -- Was hast auch vom Junker? und was geht dich auch der Narr an? warum begreifst doch auch nicht, daß wer im Dorf ist, es mit dem Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk? Aber du thust mir das nur zu leid, du weissest
§. 57. Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde.
Die Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter Streit, als der Zug ihr fuͤrs Haus kam, ſie zankte ſchon ein paar Stunden mit ihr, daß ſie ſich dieſes Lumpenzugs alſo angenom- men, und ihre Kinder mit dem Bettelgeſindel mit laufen laſſen, und denn gar, daß ſie bey ihren Schweſtern Hemder, und Struͤmpf, und Schuh dafuͤr entlehnt.
Meynſt du, ſagte ſie zu ihr, ich hab nicht genug, daß du ſo ungerathen biſt, und dir alle Leuthe uͤber den Kopf richteſt? willſt jezt auch noch deine Schweſtern ins Geſchrey brin- gen, daß ſie ſeyen wie du? und machen, daß ſie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr waͤre, oder Straf verdient haͤtte, er haͤtte dich gewiß auch nicht genommen, ſo hat er eine Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott mit den andern Kindern nicht ſo gehen. — Was haſt auch vom Junker? und was geht dich auch der Narr an? warum begreifſt doch auch nicht, daß wer im Dorf iſt, es mit dem Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk? Aber du thuſt mir das nur zu leid, du weiſſeſt
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§. 57.
Falſchheit zerreißt alle Bande der Erde.
Die Reinoldin hatte eben mit ihrer Mutter
Streit, als der Zug ihr fuͤrs Haus kam,
ſie zankte ſchon ein paar Stunden mit ihr,
daß ſie ſich dieſes Lumpenzugs alſo angenom-
men, und ihre Kinder mit dem Bettelgeſindel
mit laufen laſſen, und denn gar, daß ſie bey
ihren Schweſtern Hemder, und Struͤmpf, und
Schuh dafuͤr entlehnt.
Meynſt du, ſagte ſie zu ihr, ich hab nicht
genug, daß du ſo ungerathen biſt, und dir
alle Leuthe uͤber den Kopf richteſt? willſt jezt
auch noch deine Schweſtern ins Geſchrey brin-
gen, daß ſie ſeyen wie du? und machen, daß
ſie in keinem rechten Haus mehr eine Heurath
finden? Wenn dein Mann nicht auch ein Narr
waͤre, oder Straf verdient haͤtte, er haͤtte dich
gewiß auch nicht genommen, ſo hat er eine
Plag mit dir, aber es muß mir wills Gott
mit den andern Kindern nicht ſo gehen. —
Was haſt auch vom Junker? und was geht
dich auch der Narr an? warum begreifſt doch
auch nicht, daß wer im Dorf iſt, es mit dem
Dorf halten muß, und mit denen die im Dorf
etwas haben, und nicht mit dem Bettelvolk?
Aber du thuſt mir das nur zu leid, du weiſſeſt
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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