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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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werden konnte, wenn er auch selber noch so gern
wollte. Die über 60jährige Maschine war vom
alten Leben so ausgebraucht, daß sie auf der
andern Seite wie gerostet war, und keinen
Lauf mehr hatte. Er empfand es auch selber,
und wenn er davon redte, brauchte er den Aus-
druk: es sey mit ihm nicht anderst als mit
einem abgestandenen Wein, so lang man ihn
schüttle und rüttle, schiene es wohl, er habe
noch etwas Geist, wenn man ihn denn aber
nur ein paar Stunden stehen lasse, sey es gleich
wieder die abgestandene Lüren.

Es war wirklich, wie er sagte, und ich wüßte
ihn auf der Welt nichts besserm zu vergleichen
als so einer Lüren; er war so abgestanden daß
er oft bey halben Stunden in seiner Stube
saß, und das Maul offen hielt, wie wenn er
verrükt wäre.

Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es
war ein Wind, daß er dem Pfarrer in seiner
Noth einmahl so recht gab, und selber einzu-
sehen schien, er hätte sich mit seinem Maul der
Religion gar nichts annehmen, sondern auf
seinem Strümpfweberstuhl schaffen, und durch
seinen Verdienst und seine Arbeiten ein ehrli-
cher Kerl zu werden suchen sollen. Er pro-
bierte es wohl ein paar mahl wie es käme,
wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte
es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm

werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern
wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom
alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der
andern Seite wie geroſtet war, und keinen
Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber,
und wenn er davon redte, brauchte er den Aus-
druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit
einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn
ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe
noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber
nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich
wieder die abgeſtandene Luͤren.

Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte
ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen
als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß
er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube
ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er
verruͤkt waͤre.

Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es
war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner
Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu-
ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der
Religion gar nichts annehmen, ſondern auf
ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch
ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli-
cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro-
bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme,
wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte
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[351/0373] werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der andern Seite wie geroſtet war, und keinen Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber, und wenn er davon redte, brauchte er den Aus- druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich wieder die abgeſtandene Luͤren. Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er verruͤkt waͤre. Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu- ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der Religion gar nichts annehmen, ſondern auf ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli- cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro- bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme, wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/373>, abgerufen am 24.11.2024.