vergessen; wie eine von den andern, die mit dem Wörtlin Amen zugleich vergessen und be- schlossen werden; und doch gieng am Mor- gen kein Bein zur Kirchenthür hinaus das nicht davon redte; und von der Kirchenthür bis Daheim über das Mittagessen, bis es wie- der in die Kirche läutete, und sie in den Stüh- len sassen, gieng kein Maul davon zu. --
Es war alles nur Eine Stimme, es sey wie wenn der Pfarrer sint 50 Jahren neben ei- nem jeden gestanden wär und alles gesehen und gehört, was im hintersten Winkel vorgefallen, so habe er alles sagen können, wie es gewesen.
Graue Männer und graue Weiber wußten nicht genug zu rühmen von der guten Zeit, von der der Pfarrer so viel geredt; und er- zählten hundert Geschichten vom Nachtschnei- den, und solchen alten Freuden, die jezt ab- gegangen, weil die Leuthe so boshaft sind; und konnten nicht genug sagen wie gut es ge- wesen, ehe das Baumwollenspinnen in's Dorf gekommen, und das Land so verstükelt und mit Leuthen übersezt worden.
Eine junge Renoldin kam so in's Feuer über die Predigt, daß sie über Tisch sagte, sie wolle, noch ehe die Sonne unter, in's Pfarrhaus lauffen, und wenn's ein halb Jahr währe, die Predigt abschreiben, damit ihre Kind und Kindskinder wissen wie es im Dorf
vergeſſen; wie eine von den andern, die mit dem Woͤrtlin Amen zugleich vergeſſen und be- ſchloſſen werden; und doch gieng am Mor- gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr bis Daheim uͤber das Mittageſſen, bis es wie- der in die Kirche laͤutete, und ſie in den Stuͤh- len ſaſſen, gieng kein Maul davon zu. —
Es war alles nur Eine Stimme, es ſey wie wenn der Pfarrer ſint 50 Jahren neben ei- nem jeden geſtanden waͤr und alles geſehen und gehoͤrt, was im hinterſten Winkel vorgefallen, ſo habe er alles ſagen koͤnnen, wie es geweſen.
Graue Maͤnner und graue Weiber wußten nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit, von der der Pfarrer ſo viel geredt; und er- zaͤhlten hundert Geſchichten vom Nachtſchnei- den, und ſolchen alten Freuden, die jezt ab- gegangen, weil die Leuthe ſo boshaft ſind; und konnten nicht genug ſagen wie gut es ge- weſen, ehe das Baumwollenſpinnen in’s Dorf gekommen, und das Land ſo verſtuͤkelt und mit Leuthen uͤberſezt worden.
Eine junge Renoldin kam ſo in’s Feuer uͤber die Predigt, daß ſie uͤber Tiſch ſagte, ſie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr waͤhre, die Predigt abſchreiben, damit ihre Kind und Kindskinder wiſſen wie es im Dorf
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[26/0048]
vergeſſen; wie eine von den andern, die mit
dem Woͤrtlin Amen zugleich vergeſſen und be-
ſchloſſen werden; und doch gieng am Mor-
gen kein Bein zur Kirchenthuͤr hinaus das
nicht davon redte; und von der Kirchenthuͤr
bis Daheim uͤber das Mittageſſen, bis es wie-
der in die Kirche laͤutete, und ſie in den Stuͤh-
len ſaſſen, gieng kein Maul davon zu. —
Es war alles nur Eine Stimme, es ſey wie
wenn der Pfarrer ſint 50 Jahren neben ei-
nem jeden geſtanden waͤr und alles geſehen und
gehoͤrt, was im hinterſten Winkel vorgefallen,
ſo habe er alles ſagen koͤnnen, wie es geweſen.
Graue Maͤnner und graue Weiber wußten
nicht genug zu ruͤhmen von der guten Zeit,
von der der Pfarrer ſo viel geredt; und er-
zaͤhlten hundert Geſchichten vom Nachtſchnei-
den, und ſolchen alten Freuden, die jezt ab-
gegangen, weil die Leuthe ſo boshaft ſind;
und konnten nicht genug ſagen wie gut es ge-
weſen, ehe das Baumwollenſpinnen in’s Dorf
gekommen, und das Land ſo verſtuͤkelt und
mit Leuthen uͤberſezt worden.
Eine junge Renoldin kam ſo in’s Feuer
uͤber die Predigt, daß ſie uͤber Tiſch ſagte,
ſie wolle, noch ehe die Sonne unter, in’s
Pfarrhaus lauffen, und wenn’s ein halb Jahr
waͤhre, die Predigt abſchreiben, damit ihre
Kind und Kindskinder wiſſen wie es im Dorf
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/48>, abgerufen am 03.12.2024.
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