Das Volk des Dorfs, das aus allen Häusern herzuströmte zu fragen, wie es stehe? sahe ihre Au- gen ausgeweint, und ihre Gesichter entstellt wie tief kranker Leuten -- und verstund ihre Antwort, ehe sie redten, sie machten aber auch selber wenige Hof- nung. -- Viele Kinder weinten laut, und viele alte Leute, welche die Kinder weinen sahen, weinten mit -- und es war in diesem Augenblicke unter dem Volk nur Eine Stimme: "Wenns doch nur Got- tes Wille wär, daß Er wieder aufkommen würde!! -- Er sey ein so braver Herr! --" und ein jedes wußte in diesem Augenblick etwas Liebes und Gu- tes zu erzählen, das er ihnen und den ihrigen erwiesen. --
Aber nur eine Stunde hernach war es schon nicht mehr vollends so --
Sie achteten ihn izt alle so viel als todt. -- Sie hatten es von des Pfarrers Knecht, der auch im Schloß war, selbst gehört, daß man ihm die- sen Morgen so viel als auf das Ende gewartet ha- be. In diesem Glauben giengen sie von der Kut- sche weg; und als sie heimkamen, ein jedes in seine Stube, und anfiengen auch denen zu erzählen, die daheim geblieben waren, und die Menge der wei- nenden Kinder, und die entstellten Gesichter des Pfarrers und des Lieutenants nicht mehr vor ih- ren Augen hatten -- und der erste Eindruck der
Das Volk des Dorfs, das aus allen Haͤuſern herzuſtroͤmte zu fragen, wie es ſtehe? ſahe ihre Au- gen ausgeweint, und ihre Geſichter entſtellt wie tief kranker Leuten — und verſtund ihre Antwort, ehe ſie redten, ſie machten aber auch ſelber wenige Hof- nung. — Viele Kinder weinten laut, und viele alte Leute, welche die Kinder weinen ſahen, weinten mit — und es war in dieſem Augenblicke unter dem Volk nur Eine Stimme: „Wenns doch nur Got- tes Wille waͤr, daß Er wieder aufkommen wuͤrde!! — Er ſey ein ſo braver Herr! —„ und ein jedes wußte in dieſem Augenblick etwas Liebes und Gu- tes zu erzaͤhlen, das er ihnen und den ihrigen erwieſen. —
Aber nur eine Stunde hernach war es ſchon nicht mehr vollends ſo —
Sie achteten ihn izt alle ſo viel als todt. — Sie hatten es von des Pfarrers Knecht, der auch im Schloß war, ſelbſt gehoͤrt, daß man ihm die- ſen Morgen ſo viel als auf das Ende gewartet ha- be. In dieſem Glauben giengen ſie von der Kut- ſche weg; und als ſie heimkamen, ein jedes in ſeine Stube, und anfiengen auch denen zu erzaͤhlen, die daheim geblieben waren, und die Menge der wei- nenden Kinder, und die entſtellten Geſichter des Pfarrers und des Lieutenants nicht mehr vor ih- ren Augen hatten — und der erſte Eindruck der
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Das Volk des Dorfs, das aus allen Haͤuſern
herzuſtroͤmte zu fragen, wie es ſtehe? ſahe ihre Au-
gen ausgeweint, und ihre Geſichter entſtellt wie tief
kranker Leuten — und verſtund ihre Antwort, ehe
ſie redten, ſie machten aber auch ſelber wenige Hof-
nung. — Viele Kinder weinten laut, und viele alte
Leute, welche die Kinder weinen ſahen, weinten
mit — und es war in dieſem Augenblicke unter dem
Volk nur Eine Stimme: „Wenns doch nur Got-
tes Wille waͤr, daß Er wieder aufkommen wuͤrde!!
— Er ſey ein ſo braver Herr! —„ und ein jedes
wußte in dieſem Augenblick etwas Liebes und Gu-
tes zu erzaͤhlen, das er ihnen und den ihrigen
erwieſen. —
Aber nur eine Stunde hernach war es ſchon
nicht mehr vollends ſo —
Sie achteten ihn izt alle ſo viel als todt. —
Sie hatten es von des Pfarrers Knecht, der auch
im Schloß war, ſelbſt gehoͤrt, daß man ihm die-
ſen Morgen ſo viel als auf das Ende gewartet ha-
be. In dieſem Glauben giengen ſie von der Kut-
ſche weg; und als ſie heimkamen, ein jedes in ſeine
Stube, und anfiengen auch denen zu erzaͤhlen, die
daheim geblieben waren, und die Menge der wei-
nenden Kinder, und die entſtellten Geſichter des
Pfarrers und des Lieutenants nicht mehr vor ih-
ren Augen hatten — und der erſte Eindruck der
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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