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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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auch geben; und wir haben schon viel bekommen,
und bekommen noch mehr, viel mehr als wir nie
gestohlen hätten. --

So, so! sagte der Junker, so denke ich wohl,
frevelt ihr nicht mehr; aber der Renold muß doch
ein guter Kindermann seyn, nicht wuhr?

Kind. Das denk ich; er hat immer, wo er
steht und geht, Angster (Pfenning) und Rappen im
Sack, und wenn ihm ein Kind heischet, so giebt
er ihm, und daheim große Stück Brod; und er
kann noch eine halbe Stund bey so einem Kind,
das ihm bettelt, stehen, und mit ihm reden.

Dann erzählten sie ihm, wie sie geglaubt ha-
ben, er sterbe, und wie sie mit dem Herr Lieute-
nant, dem Herr Pfarrer, alle Tage in der Kirche
für Ihn gebetet; und daß einmal ein fremder Herr
in die Kirche gekommen, der auch mit ihnen für
Ihn gebetet, er sey so freundlich gewesen, habe
ihnen allen die Hand gegeben, und sey Morndeß
den ganzen Tag bey ihnen in der Schule gewesen.

Beym Abendessen, im alten Rittersaal, konn-
ten sie sich nicht satt sehen an den Figuren an der
Wand. Der Karl erklärte ihnen lustig der Zwing-
herren Ordnung, die da abgemahlt ist, und sie
buchstabirten das Teufelsblut, lachten über das
Reiten des dicken Junkers, und machten saure Au-
gen über den Bauer auf dem Hirschen.

auch geben; und wir haben ſchon viel bekommen,
und bekommen noch mehr, viel mehr als wir nie
geſtohlen haͤtten. —

So, ſo! ſagte der Junker, ſo denke ich wohl,
frevelt ihr nicht mehr; aber der Renold muß doch
ein guter Kindermann ſeyn, nicht wuhr?

Kind. Das denk ich; er hat immer, wo er
ſteht und geht, Angſter (Pfenning) und Rappen im
Sack, und wenn ihm ein Kind heiſchet, ſo giebt
er ihm, und daheim große Stuͤck Brod; und er
kann noch eine halbe Stund bey ſo einem Kind,
das ihm bettelt, ſtehen, und mit ihm reden.

Dann erzaͤhlten ſie ihm, wie ſie geglaubt ha-
ben, er ſterbe, und wie ſie mit dem Herr Lieute-
nant, dem Herr Pfarrer, alle Tage in der Kirche
fuͤr Ihn gebetet; und daß einmal ein fremder Herr
in die Kirche gekommen, der auch mit ihnen fuͤr
Ihn gebetet, er ſey ſo freundlich geweſen, habe
ihnen allen die Hand gegeben, und ſey Morndeß
den ganzen Tag bey ihnen in der Schule geweſen.

Beym Abendeſſen, im alten Ritterſaal, konn-
ten ſie ſich nicht ſatt ſehen an den Figuren an der
Wand. Der Karl erklaͤrte ihnen luſtig der Zwing-
herren Ordnung, die da abgemahlt iſt, und ſie
buchſtabirten das Teufelsblut, lachten uͤber das
Reiten des dicken Junkers, und machten ſaure Au-
gen uͤber den Bauer auf dem Hirſchen.

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[205/0223] auch geben; und wir haben ſchon viel bekommen, und bekommen noch mehr, viel mehr als wir nie geſtohlen haͤtten. — So, ſo! ſagte der Junker, ſo denke ich wohl, frevelt ihr nicht mehr; aber der Renold muß doch ein guter Kindermann ſeyn, nicht wuhr? Kind. Das denk ich; er hat immer, wo er ſteht und geht, Angſter (Pfenning) und Rappen im Sack, und wenn ihm ein Kind heiſchet, ſo giebt er ihm, und daheim große Stuͤck Brod; und er kann noch eine halbe Stund bey ſo einem Kind, das ihm bettelt, ſtehen, und mit ihm reden. Dann erzaͤhlten ſie ihm, wie ſie geglaubt ha- ben, er ſterbe, und wie ſie mit dem Herr Lieute- nant, dem Herr Pfarrer, alle Tage in der Kirche fuͤr Ihn gebetet; und daß einmal ein fremder Herr in die Kirche gekommen, der auch mit ihnen fuͤr Ihn gebetet, er ſey ſo freundlich geweſen, habe ihnen allen die Hand gegeben, und ſey Morndeß den ganzen Tag bey ihnen in der Schule geweſen. Beym Abendeſſen, im alten Ritterſaal, konn- ten ſie ſich nicht ſatt ſehen an den Figuren an der Wand. Der Karl erklaͤrte ihnen luſtig der Zwing- herren Ordnung, die da abgemahlt iſt, und ſie buchſtabirten das Teufelsblut, lachten uͤber das Reiten des dicken Junkers, und machten ſaure Au- gen uͤber den Bauer auf dem Hirſchen.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/223>, abgerufen am 21.11.2024.