Wers ehrlich meynte, und nicht in den Tag hinein redte, sagte ihm, es sey schwer zu rathen, und nicht viel zu machen. Der Klaus sagte das gleiche, und sezte hinzu, wenn in einem solchen Fall die Leute gegen den Beschädigten kein Mitleiden haben, und einer dem andern ins Ohr sagt, es sey ihm recht geschehen, er habe es ob dem oder ob diesem verdient, so helfe dann das alles, den Thäter zu verbergen, und weit die meisten Bauers- leute machen sich in diesem Fall ein Gewissen ihn der Obrigkeit zu entdecken, das sey oben und unten im Land so eingewurzelt, daß er Frevel erlebt habe, wo zwanzig und dreyßig Menschen davon gewußt haben, und doch sey es der Obrigkeit unmöglich gewesen, den Thäter herauszubringen; die jungen Bursche haben in solchen Fällen eine Freude daran, und alles macht sich eine Ehre daraus zu helfen, daß es nicht an den Tag komme -- es komme aber gewöhnlich am meisten an Tag, wenn man still dazu thue und schweige, und also rathe er zu die- sem. --
So wurde er vom Pontio zum Pilato gewieſen.
Wers ehrlich meynte, und nicht in den Tag hinein redte, ſagte ihm, es ſey ſchwer zu rathen, und nicht viel zu machen. Der Klaus ſagte das gleiche, und ſezte hinzu, wenn in einem ſolchen Fall die Leute gegen den Beſchaͤdigten kein Mitleiden haben, und einer dem andern ins Ohr ſagt, es ſey ihm recht geſchehen, er habe es ob dem oder ob dieſem verdient, ſo helfe dann das alles, den Thaͤter zu verbergen, und weit die meiſten Bauers- leute machen ſich in dieſem Fall ein Gewiſſen ihn der Obrigkeit zu entdecken, das ſey oben und unten im Land ſo eingewurzelt, daß er Frevel erlebt habe, wo zwanzig und dreyßig Menſchen davon gewußt haben, und doch ſey es der Obrigkeit unmoͤglich geweſen, den Thaͤter herauszubringen; die jungen Burſche haben in ſolchen Faͤllen eine Freude daran, und alles macht ſich eine Ehre daraus zu helfen, daß es nicht an den Tag komme — es komme aber gewoͤhnlich am meiſten an Tag, wenn man ſtill dazu thue und ſchweige, und alſo rathe er zu die- ſem. —
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So wurde er vom Pontio zum Pilato gewieſen.
Wers ehrlich meynte, und nicht in den Tag
hinein redte, ſagte ihm, es ſey ſchwer zu rathen,
und nicht viel zu machen. Der Klaus ſagte das
gleiche, und ſezte hinzu, wenn in einem ſolchen Fall
die Leute gegen den Beſchaͤdigten kein Mitleiden
haben, und einer dem andern ins Ohr ſagt, es
ſey ihm recht geſchehen, er habe es ob dem oder
ob dieſem verdient, ſo helfe dann das alles, den
Thaͤter zu verbergen, und weit die meiſten Bauers-
leute machen ſich in dieſem Fall ein Gewiſſen ihn
der Obrigkeit zu entdecken, das ſey oben und unten
im Land ſo eingewurzelt, daß er Frevel erlebt habe,
wo zwanzig und dreyßig Menſchen davon gewußt
haben, und doch ſey es der Obrigkeit unmoͤglich
geweſen, den Thaͤter herauszubringen; die jungen
Burſche haben in ſolchen Faͤllen eine Freude daran,
und alles macht ſich eine Ehre daraus zu helfen,
daß es nicht an den Tag komme — es komme aber
gewoͤhnlich am meiſten an Tag, wenn man ſtill
dazu thue und ſchweige, und alſo rathe er zu die-
ſem. —
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/95>, abgerufen am 23.11.2024.
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