ppe_246.001 das letzte Wort einer Dichtung sein, z. B. in Schillers "Braut von ppe_246.002 Messina":
ppe_246.003
Das Leben ist der Güter höchstes nicht, ppe_246.004 Der Übel größtes aber ist die Schuld.
ppe_246.005 Auch Goethe hat im Chorus Mysticus, der den Schluß der Faustdichtung ppe_246.006 bildet, den tiefsten Sinn des Ganzen zusammengedrängt, ppe_246.007 ohne daß man allerdings in diesen Versen eine problemlösende Idee ppe_246.008 erkennen könnte. Dagegen hat er selbst gelegentlich den vorausgehenden ppe_246.009 Engelchor als Schlüssel zum Verständnis des Werkes ppe_246.010 bezeichnet:
ppe_246.011
Wer immer strebend sich bemüht, ppe_246.012 Den können wir erlösen. ppe_246.013 Und hat an ihm die Liebe gar ppe_246.014 Von oben teilgenommen, ppe_246.015 Begegnet ihm die selige Schar ppe_246.016 Mit herzlichem Willkommen.
ppe_246.017
Will man in der Tat an dieser Stelle die Idee des Werkes offenbart ppe_246.018 finden, so hat man in der Zweigliedrigkeit keine Polarität zu sehen, ppe_246.019 sondern eine Steigerung. Ein Ideenkomplex entsteht im Zusammentreffen ppe_246.020 von zwei geistigen Mächten. Das eine ist die in den Menschen ppe_246.021 gelegte Kraft unstillbaren Strebens, das andere die in Gott ruhende ppe_246.022 ewige Liebe. Das erste wird Problem im Pakt des ersten Teiles, aus ppe_246.023 dem die Idee des unbezwingbaren Strebens trotz aller Irrungen ppe_246.024 siegreich hervorgehen soll (entsprechend der Voraussage des Prologs ppe_246.025 im Himmel). Das zweite Problem ist das der irdischen und himmlischen ppe_246.026 Liebe, das im ersten Teil mit dem Erlöschen von Fausts Leidenschaft ppe_246.027 endet, also mit einer Niederlage des Menschen, während es im ppe_246.028 zweiten Teil durch die entgegenkommende Liebe von oben dem guten ppe_246.029 Ausgang entgegenwächst.
ppe_246.030 Wie schon bei Gelegenheit der Fabel (S. 140) erwähnt wurde, hat ppe_246.031 der Faustdichter selbst es nicht wahrhaben wollen, daß alles von ppe_246.032 ihm auf den Faden einer einzigen durchlaufenden Idee aufgereiht ppe_246.033 worden sei. Umgekehrt kann man in andern Fällen, wo der Dichter ppe_246.034 selbst den Sinn eines Werkes nachträglich zusammengefaßt hat, ppe_246.035 zweifeln, ob damit das Rechte getroffen wurde. So hat H. A. Korff ppe_246.036 bestritten, daß mit den späten Widmungsversen der "Iphigenie":
ppe_246.037
Alle menschlichen Gebrechen heilet reine Menschlichkeit
ppe_246.038
wirklich die Idee der Dichtung, die Goethe selbst später als "verteufelt ppe_246.039 human" bezeichnete, ausgesprochen sei.
ppe_246.001 das letzte Wort einer Dichtung sein, z. B. in Schillers „Braut von ppe_246.002 Messina“:
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Will man in der Tat an dieser Stelle die Idee des Werkes offenbart ppe_246.018 finden, so hat man in der Zweigliedrigkeit keine Polarität zu sehen, ppe_246.019 sondern eine Steigerung. Ein Ideenkomplex entsteht im Zusammentreffen ppe_246.020 von zwei geistigen Mächten. Das eine ist die in den Menschen ppe_246.021 gelegte Kraft unstillbaren Strebens, das andere die in Gott ruhende ppe_246.022 ewige Liebe. Das erste wird Problem im Pakt des ersten Teiles, aus ppe_246.023 dem die Idee des unbezwingbaren Strebens trotz aller Irrungen ppe_246.024 siegreich hervorgehen soll (entsprechend der Voraussage des Prologs ppe_246.025 im Himmel). Das zweite Problem ist das der irdischen und himmlischen ppe_246.026 Liebe, das im ersten Teil mit dem Erlöschen von Fausts Leidenschaft ppe_246.027 endet, also mit einer Niederlage des Menschen, während es im ppe_246.028 zweiten Teil durch die entgegenkommende Liebe von oben dem guten ppe_246.029 Ausgang entgegenwächst.
ppe_246.030 Wie schon bei Gelegenheit der Fabel (S. 140) erwähnt wurde, hat ppe_246.031 der Faustdichter selbst es nicht wahrhaben wollen, daß alles von ppe_246.032 ihm auf den Faden einer einzigen durchlaufenden Idee aufgereiht ppe_246.033 worden sei. Umgekehrt kann man in andern Fällen, wo der Dichter ppe_246.034 selbst den Sinn eines Werkes nachträglich zusammengefaßt hat, ppe_246.035 zweifeln, ob damit das Rechte getroffen wurde. So hat H. A. Korff ppe_246.036 bestritten, daß mit den späten Widmungsversen der „Iphigenie“:
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Alle menschlichen Gebrechen heilet reine Menschlichkeit
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Das Leben ist der Güter höchstes nicht, ppe_246.004
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Wie schon bei Gelegenheit der Fabel (S. 140) erwähnt wurde, hat ppe_246.031
der Faustdichter selbst es nicht wahrhaben wollen, daß alles von ppe_246.032
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Alle menschlichen Gebrechen heilet reine Menschlichkeit
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/270>, abgerufen am 22.11.2024.
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