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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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zu unternehmen, um die Atmosphäre Nordafrikas einzufangen und ppe_316.002
Klima, Art, Sitten und Lebensweise der Menschen zu beobachten. Er ppe_316.003
glaubte schließlich, in "Salambo" etwas gemacht zu haben, "was Karthago ppe_316.004
ähnlich sieht". Aber es bleibt die Frage, ob die Farbenorgien des ppe_316.005
von ihm gezeichneten Stadtbildes archäologisch soviel getreuer sind ppe_316.006
als das Traumbild von Florenz, das Koskenniemi in sich trug.

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Lebenswirklichkeit und Dichtung. Der phantasievolle ppe_316.008
Dichter ist, auch da, wo er zuverlässigste Wirklichkeit geben will, gar ppe_316.009
nicht dazu imstande; er ist immer ein Künstler, der nach Goethes Wort ppe_316.010
"aus Wahrheit und Lüge ein drittes bildet, dessen erborgtes Dasein ppe_316.011
uns bezaubert". Wie es im "Westöstlichen Diwan" heißt:

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Dichten zwar ist Himmelsgabe, ppe_316.013
Doch im Erdenleben Trug.

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Immer wieder drängt sich die Frage auf, welchen Zweck es denn ppe_316.015
haben kann, gegen die Fata Morgana, mit der die Magie des Dichters ppe_316.016
in Bann schlägt, eine nüchterne Wirklichkeit auszuspielen. Man kann ppe_316.017
antworten, daß auch der Luftspiegelung irgendeine Wirklichkeit zugrunde ppe_316.018
liegt und daß die Wissenschaft zur Erklärung des Mediums, ppe_316.019
das solches Fernbild fortpflanzte, verpflichtet ist. Zur Errechnung ppe_316.020
der Strahlenbrechung muß aber der Ausgangspunkt ermittelt werden. ppe_316.021
Wieder ist es Goethe, der als Naturwissenschaftler sich mit allen Erscheinungen ppe_316.022
der Spiegelung befaßte und in ihnen ein Gleichnis für ppe_316.023
die innere produktive Kraft des Menschen fand. In einem Aufsatz ppe_316.024
"Wiederholte Spiegelung" hat er das Nachklingen seines Sesenheimer ppe_316.025
Erlebnisses den entoptischen Erscheinungen verglichen, die durch wiederholte ppe_316.026
Spiegelung die Leuchtkraft der Farben nicht abschwächen, ppe_316.027
sondern steigern: "ein jugendlich seliges Wahnleben, das sich unbewußt ppe_316.028
eindrücklich in dem Jüngling abspiegelte und viele Jahre in seinem ppe_316.029
Inneren fortgehegt wird, kommt nach langer Zeit in lebhafter Erinnerung ppe_316.030
zur Aussprache nach außen und spiegelt sich somit abermals ab, ppe_316.031
das Bild drückt sich andern ein, die an der Örtlichkeit aus Trümmern ppe_316.032
von Dasein und Überlieferung eine zweite Gegenwart schaffen, und ppe_316.033
diese Spiegelung fällt auf den alten Liebhaber zurück, in dessen Seele ppe_316.034
sich die Gegenwart der Geliebten von ehemals wieder lieblich erneuert."

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Wenn nach diesem Gleichnis das Erlebnis bereits als produktives ppe_316.036
Verhalten zum Leben erscheint, so finden wir Übereinstimmung ppe_316.037
mit der Stufenfolge, die ein Spruch Goethes unter Benutzung Leibnizscher ppe_316.038
Begriffe herstellt: "Das Höchste, was wir von Gott empfangen ppe_316.039
haben, ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich ppe_316.040
selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt ... Die zweite Gunst des

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zu unternehmen, um die Atmosphäre Nordafrikas einzufangen und ppe_316.002
Klima, Art, Sitten und Lebensweise der Menschen zu beobachten. Er ppe_316.003
glaubte schließlich, in „Salambo“ etwas gemacht zu haben, „was Karthago ppe_316.004
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von ihm gezeichneten Stadtbildes archäologisch soviel getreuer sind ppe_316.006
als das Traumbild von Florenz, das Koskenniemi in sich trug.

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Lebenswirklichkeit und Dichtung. Der phantasievolle ppe_316.008
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Dichten zwar ist Himmelsgabe, ppe_316.013
Doch im Erdenleben Trug.

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Immer wieder drängt sich die Frage auf, welchen Zweck es denn ppe_316.015
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in Bann schlägt, eine nüchterne Wirklichkeit auszuspielen. Man kann ppe_316.017
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[316/0340] ppe_316.001 zu unternehmen, um die Atmosphäre Nordafrikas einzufangen und ppe_316.002 Klima, Art, Sitten und Lebensweise der Menschen zu beobachten. Er ppe_316.003 glaubte schließlich, in „Salambo“ etwas gemacht zu haben, „was Karthago ppe_316.004 ähnlich sieht“. Aber es bleibt die Frage, ob die Farbenorgien des ppe_316.005 von ihm gezeichneten Stadtbildes archäologisch soviel getreuer sind ppe_316.006 als das Traumbild von Florenz, das Koskenniemi in sich trug. ppe_316.007 Lebenswirklichkeit und Dichtung. Der phantasievolle ppe_316.008 Dichter ist, auch da, wo er zuverlässigste Wirklichkeit geben will, gar ppe_316.009 nicht dazu imstande; er ist immer ein Künstler, der nach Goethes Wort ppe_316.010 „aus Wahrheit und Lüge ein drittes bildet, dessen erborgtes Dasein ppe_316.011 uns bezaubert“. Wie es im „Westöstlichen Diwan“ heißt: ppe_316.012 Dichten zwar ist Himmelsgabe, ppe_316.013 Doch im Erdenleben Trug. ppe_316.014 Immer wieder drängt sich die Frage auf, welchen Zweck es denn ppe_316.015 haben kann, gegen die Fata Morgana, mit der die Magie des Dichters ppe_316.016 in Bann schlägt, eine nüchterne Wirklichkeit auszuspielen. Man kann ppe_316.017 antworten, daß auch der Luftspiegelung irgendeine Wirklichkeit zugrunde ppe_316.018 liegt und daß die Wissenschaft zur Erklärung des Mediums, ppe_316.019 das solches Fernbild fortpflanzte, verpflichtet ist. Zur Errechnung ppe_316.020 der Strahlenbrechung muß aber der Ausgangspunkt ermittelt werden. ppe_316.021 Wieder ist es Goethe, der als Naturwissenschaftler sich mit allen Erscheinungen ppe_316.022 der Spiegelung befaßte und in ihnen ein Gleichnis für ppe_316.023 die innere produktive Kraft des Menschen fand. In einem Aufsatz ppe_316.024 „Wiederholte Spiegelung“ hat er das Nachklingen seines Sesenheimer ppe_316.025 Erlebnisses den entoptischen Erscheinungen verglichen, die durch wiederholte ppe_316.026 Spiegelung die Leuchtkraft der Farben nicht abschwächen, ppe_316.027 sondern steigern: „ein jugendlich seliges Wahnleben, das sich unbewußt ppe_316.028 eindrücklich in dem Jüngling abspiegelte und viele Jahre in seinem ppe_316.029 Inneren fortgehegt wird, kommt nach langer Zeit in lebhafter Erinnerung ppe_316.030 zur Aussprache nach außen und spiegelt sich somit abermals ab, ppe_316.031 das Bild drückt sich andern ein, die an der Örtlichkeit aus Trümmern ppe_316.032 von Dasein und Überlieferung eine zweite Gegenwart schaffen, und ppe_316.033 diese Spiegelung fällt auf den alten Liebhaber zurück, in dessen Seele ppe_316.034 sich die Gegenwart der Geliebten von ehemals wieder lieblich erneuert.“ ppe_316.035 Wenn nach diesem Gleichnis das Erlebnis bereits als produktives ppe_316.036 Verhalten zum Leben erscheint, so finden wir Übereinstimmung ppe_316.037 mit der Stufenfolge, die ein Spruch Goethes unter Benutzung Leibnizscher ppe_316.038 Begriffe herstellt: „Das Höchste, was wir von Gott empfangen ppe_316.039 haben, ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich ppe_316.040 selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt ... Die zweite Gunst des

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/340>, abgerufen am 22.11.2024.