ppe_427.001 Theaterroutinier Victorien Sardou, der seinen Besuchern ppe_427.002 Einblick in eine Vorratskammer von über hundert in Angriff genommenen ppe_427.003 Stücken gewähren konnte, aber er gehörte auch nicht zu ppe_427.004 jenem Dichtertypus, der, wenn er erlebnismäßig von einem Thema ppe_427.005 besessen ist, nicht nach rechts und nicht nach links schaut, sondern ppe_427.006 nur in diesem einen Werk leben und wirken kann. Das Gegenteil ppe_427.007 davon führt leicht zur Zersplitterung, wie z. B. Jos. Vict. v. Scheffel ppe_427.008 nach dem "Eckehard" zwischen den Stoffen zu acht geschichtlichen ppe_427.009 Romanen schwankte, von denen keiner mehr zur Vollendung gelangt ppe_427.010 ist.
ppe_427.011 Dem vierten Typus, der als meditativ bezeichnet worden ist, scheint ppe_427.012 Hebbels dramatisches Schaffen nahezukommen, das meist von einer ppe_427.013 Ideenkonzeption ausging. Bei einem Meinungsaustausch zwischen ihm ppe_427.014 und Gutzkow gestanden sich beide, daß sie keine ausführlichen Pläne ppe_427.015 zu machen pflegten, obwohl Gutzkow es für ratsam erachtete. Hebbel ppe_427.016 hielt an seinem ungebundenen Verfahren, das der abkühlenden Verstandesarbeit ppe_427.017 wie der pedantischen Schematisierung auswich, fest. ppe_427.018 Aber der ursprüngliche Schwerpunkt verschob sich dabei nicht selten, ppe_427.019 und die erste Konzeption wurde im Verlauf der Arbeit mit Änderung ppe_427.020 der Problemstellung durch einen neuen Plan verdrängt. So ist während ppe_427.021 der Entstehung der "Genoveva" die Situation des Golo wichtiger ppe_427.022 geworden, als die der Heiligen. Ähnlich trat bei der "Agnes Bernauer", ppe_427.023 deren erster Plan von der Idee der Schönheit als Schuld ausging, in ppe_427.024 der Umgestaltung mehr und mehr das Problem des Staatsgedankens ppe_427.025 in den Vordergrund. Lag im Stoff zunächst die Eignung zum Intrigenstück, ppe_427.026 so gewann es mit der neuen Dynamik, die aus der Spannung ppe_427.027 zwischen Vater und Sohn erwuchs, den Charakter des Problem- und ppe_427.028 Ideendramas. Das "Trauerspiel in Sizilien" wiederum wurde mit der ppe_427.029 Sicherheit eines Nachtwandlers in einem Zug begonnen, bis eine ppe_427.030 gesundheitliche Hemmung eintrat und die Wiederaufnahme durch ppe_427.031 einsetzende Reflexion gelähmt wurde.
ppe_427.032 Das eigentliche Feld der meditativen Konzeption und Schaffensweise ppe_427.033 liegt, wie schon oben (S. 418) gesagt wurde, in der erzählenden ppe_427.034 Dichtung. Während Theodor Fontane bei der Ausführung seiner ppe_427.035 sprunghaften Stimmungsballaden intuitive Inspirationen erlebte, z. B. ppe_427.036 bei "Schloß Eger", das er während des Ankleidens in wenigen Minuten ppe_427.037 auf das Papier warf, oder bei "Archibald Douglas", dessen ppe_427.038 Strophen er am Abend der Stoffindung im Vorraum des Schauspielhauses ppe_427.039 auf herausgerissene Blätter seines Notizbuches schrieb, tat er ppe_427.040 sich sehr schwer als Prosa-Erzähler. Sein Romanschaffen, das an der ppe_427.041 Hand seines Nachlasses sich bis ins einzelne verfolgen läßt, gibt das
ppe_427.001 Theaterroutinier Victorien Sardou, der seinen Besuchern ppe_427.002 Einblick in eine Vorratskammer von über hundert in Angriff genommenen ppe_427.003 Stücken gewähren konnte, aber er gehörte auch nicht zu ppe_427.004 jenem Dichtertypus, der, wenn er erlebnismäßig von einem Thema ppe_427.005 besessen ist, nicht nach rechts und nicht nach links schaut, sondern ppe_427.006 nur in diesem einen Werk leben und wirken kann. Das Gegenteil ppe_427.007 davon führt leicht zur Zersplitterung, wie z. B. Jos. Vict. v. Scheffel ppe_427.008 nach dem „Eckehard“ zwischen den Stoffen zu acht geschichtlichen ppe_427.009 Romanen schwankte, von denen keiner mehr zur Vollendung gelangt ppe_427.010 ist.
ppe_427.011 Dem vierten Typus, der als meditativ bezeichnet worden ist, scheint ppe_427.012 Hebbels dramatisches Schaffen nahezukommen, das meist von einer ppe_427.013 Ideenkonzeption ausging. Bei einem Meinungsaustausch zwischen ihm ppe_427.014 und Gutzkow gestanden sich beide, daß sie keine ausführlichen Pläne ppe_427.015 zu machen pflegten, obwohl Gutzkow es für ratsam erachtete. Hebbel ppe_427.016 hielt an seinem ungebundenen Verfahren, das der abkühlenden Verstandesarbeit ppe_427.017 wie der pedantischen Schematisierung auswich, fest. ppe_427.018 Aber der ursprüngliche Schwerpunkt verschob sich dabei nicht selten, ppe_427.019 und die erste Konzeption wurde im Verlauf der Arbeit mit Änderung ppe_427.020 der Problemstellung durch einen neuen Plan verdrängt. So ist während ppe_427.021 der Entstehung der „Genoveva“ die Situation des Golo wichtiger ppe_427.022 geworden, als die der Heiligen. Ähnlich trat bei der „Agnes Bernauer“, ppe_427.023 deren erster Plan von der Idee der Schönheit als Schuld ausging, in ppe_427.024 der Umgestaltung mehr und mehr das Problem des Staatsgedankens ppe_427.025 in den Vordergrund. Lag im Stoff zunächst die Eignung zum Intrigenstück, ppe_427.026 so gewann es mit der neuen Dynamik, die aus der Spannung ppe_427.027 zwischen Vater und Sohn erwuchs, den Charakter des Problem- und ppe_427.028 Ideendramas. Das „Trauerspiel in Sizilien“ wiederum wurde mit der ppe_427.029 Sicherheit eines Nachtwandlers in einem Zug begonnen, bis eine ppe_427.030 gesundheitliche Hemmung eintrat und die Wiederaufnahme durch ppe_427.031 einsetzende Reflexion gelähmt wurde.
ppe_427.032 Das eigentliche Feld der meditativen Konzeption und Schaffensweise ppe_427.033 liegt, wie schon oben (S. 418) gesagt wurde, in der erzählenden ppe_427.034 Dichtung. Während Theodor Fontane bei der Ausführung seiner ppe_427.035 sprunghaften Stimmungsballaden intuitive Inspirationen erlebte, z. B. ppe_427.036 bei „Schloß Eger“, das er während des Ankleidens in wenigen Minuten ppe_427.037 auf das Papier warf, oder bei „Archibald Douglas“, dessen ppe_427.038 Strophen er am Abend der Stoffindung im Vorraum des Schauspielhauses ppe_427.039 auf herausgerissene Blätter seines Notizbuches schrieb, tat er ppe_427.040 sich sehr schwer als Prosa-Erzähler. Sein Romanschaffen, das an der ppe_427.041 Hand seines Nachlasses sich bis ins einzelne verfolgen läßt, gibt das
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/451>, abgerufen am 22.11.2024.
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