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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Wie die Sinnbildhaftigkeit im Ästhetischen, Ethischen, Religiösen ppe_461.002
und Volkhaften einen entscheidenden Wertmaßstab für die Einschätzung ppe_461.003
des einzelnen Werkes darstellt (vgl. S. 274 f.), so ist sie ppe_461.004
es in erhöhtem Maße für die Sendung des Dichters, der mit der Einheit ppe_461.005
seiner Existenz für das Ganze einsteht. Will man einwenden, ppe_461.006
daß der Wert des Kunstwerkes in seiner Form liege und der des ppe_461.007
Künstlers in seinem Können, so ist zu sagen, daß auch die kunstvollste ppe_461.008
Form erst durch das Gewicht ihres sinnbildhaften Gehaltes ppe_461.009
Dauer erhält und daß diese Substanz, wenn sie echt ist, keine andere ppe_461.010
als die des Dichters sein kann.

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Von dem Wert der einzelnen Dichtung gilt das Wort Wilhelm ppe_461.012
Raabes: "Nur diejenigen Kunstwerke haben Anspruch auf Dauer, in ppe_461.013
denen die Nation sich wiederfindet." Denselben Gedanken hat Paul ppe_461.014
Ernst auf die Geltung des Dichters übertragen: "In einem Dichter ppe_461.015
kommt eine Nation zu ihrem Selbstbewußtsein; der Dichter sagt das ppe_461.016
mit deutlichen Begriffen, in klaren Bildern und in festen Worten, ppe_461.017
was in der Nation unbewußt lebt. Das ist nur so möglich, daß im ppe_461.018
Dichter das Wesen der Nation zu seiner schärfsten Ausprägung ppe_461.019
kommt, das Wesen der Nation, wie es sich in seiner Zeit äußert; denn ppe_461.020
dasselbe Wesen äußert sich ja in den verschiedenen Zeiten verschieden; ppe_461.021
man mache sich etwa klar, daß Parzival, Simplizissimus und ppe_461.022
Wilhelm Meister alle drei von deutschen Dichtern gedichtet sind, alle ppe_461.023
drei deutsches Wesen darstellen, aber in den drei verschiedenen Zeiten, ppe_461.024
in so verschiedener Art, daß der oberflächliche Blick kaum Verwandtschaft ppe_461.025
zwischen ihnen feststellen kann. Bei der Einheit von ppe_461.026
Erleben und Dichten muß man annehmen, daß das Erlebnis des Dichters ppe_461.027
auch das Erlebnis seiner Nation in seiner Zeit sein muß."

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Man kann weitergehen, wenn man über diese Sinnbilder deutschen ppe_461.029
Wesens zu seiner größten überzeitlichen Ausprägung gelangt, zu ppe_461.030
Goethes "Faust", in dem nicht nur eine Nation, sondern die Menschheit ppe_461.031
sich selbst, ihr Schicksal und ihr Streben erkannt hat. Die Gestalt ppe_461.032
konnte solche sinnbildhafte Geltung nur erhalten, weil sie keine ppe_461.033
humane Abstraktion bedeutet, sondern erlebnisgesättigt aus der Volkheit ppe_461.034
aufgestiegen ist und in ihrer Wesensart das Ganze darstellt, das ppe_461.035
in seiner verkörperten Wirklichkeit sinnbildhaft werden kann für ppe_461.036
Schicksal und Gemeinschaft der Menschheit.

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Die Großen sind dadurch aufgestiegen, daß alle Kräfte des Volkstums ppe_461.038
in ihnen lebendig sind; ihre Deutung hat zu zeigen, daß sie nicht ppe_461.039
nur sich selbst, sondern Blut und Stamm, Landschaft und Gesellschaft ppe_461.040
vor der Menschheit voll vertreten. Schon zu Goethes Lebzeiten ppe_461.041
hat der kerndeutsche Ernst Moritz Arndt in seinen "Briefen an

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Wie die Sinnbildhaftigkeit im Ästhetischen, Ethischen, Religiösen ppe_461.002
und Volkhaften einen entscheidenden Wertmaßstab für die Einschätzung ppe_461.003
des einzelnen Werkes darstellt (vgl. S. 274 f.), so ist sie ppe_461.004
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Dauer erhält und daß diese Substanz, wenn sie echt ist, keine andere ppe_461.010
als die des Dichters sein kann.

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Von dem Wert der einzelnen Dichtung gilt das Wort Wilhelm ppe_461.012
Raabes: „Nur diejenigen Kunstwerke haben Anspruch auf Dauer, in ppe_461.013
denen die Nation sich wiederfindet.“ Denselben Gedanken hat Paul ppe_461.014
Ernst auf die Geltung des Dichters übertragen: „In einem Dichter ppe_461.015
kommt eine Nation zu ihrem Selbstbewußtsein; der Dichter sagt das ppe_461.016
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Dichter das Wesen der Nation zu seiner schärfsten Ausprägung ppe_461.019
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drei deutsches Wesen darstellen, aber in den drei verschiedenen Zeiten, ppe_461.024
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zwischen ihnen feststellen kann. Bei der Einheit von ppe_461.026
Erleben und Dichten muß man annehmen, daß das Erlebnis des Dichters ppe_461.027
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Man kann weitergehen, wenn man über diese Sinnbilder deutschen ppe_461.029
Wesens zu seiner größten überzeitlichen Ausprägung gelangt, zu ppe_461.030
Goethes „Faust“, in dem nicht nur eine Nation, sondern die Menschheit ppe_461.031
sich selbst, ihr Schicksal und ihr Streben erkannt hat. Die Gestalt ppe_461.032
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Schicksal und Gemeinschaft der Menschheit.

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Die Großen sind dadurch aufgestiegen, daß alle Kräfte des Volkstums ppe_461.038
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[461/0485] ppe_461.001 Wie die Sinnbildhaftigkeit im Ästhetischen, Ethischen, Religiösen ppe_461.002 und Volkhaften einen entscheidenden Wertmaßstab für die Einschätzung ppe_461.003 des einzelnen Werkes darstellt (vgl. S. 274 f.), so ist sie ppe_461.004 es in erhöhtem Maße für die Sendung des Dichters, der mit der Einheit ppe_461.005 seiner Existenz für das Ganze einsteht. Will man einwenden, ppe_461.006 daß der Wert des Kunstwerkes in seiner Form liege und der des ppe_461.007 Künstlers in seinem Können, so ist zu sagen, daß auch die kunstvollste ppe_461.008 Form erst durch das Gewicht ihres sinnbildhaften Gehaltes ppe_461.009 Dauer erhält und daß diese Substanz, wenn sie echt ist, keine andere ppe_461.010 als die des Dichters sein kann. ppe_461.011 Von dem Wert der einzelnen Dichtung gilt das Wort Wilhelm ppe_461.012 Raabes: „Nur diejenigen Kunstwerke haben Anspruch auf Dauer, in ppe_461.013 denen die Nation sich wiederfindet.“ Denselben Gedanken hat Paul ppe_461.014 Ernst auf die Geltung des Dichters übertragen: „In einem Dichter ppe_461.015 kommt eine Nation zu ihrem Selbstbewußtsein; der Dichter sagt das ppe_461.016 mit deutlichen Begriffen, in klaren Bildern und in festen Worten, ppe_461.017 was in der Nation unbewußt lebt. Das ist nur so möglich, daß im ppe_461.018 Dichter das Wesen der Nation zu seiner schärfsten Ausprägung ppe_461.019 kommt, das Wesen der Nation, wie es sich in seiner Zeit äußert; denn ppe_461.020 dasselbe Wesen äußert sich ja in den verschiedenen Zeiten verschieden; ppe_461.021 man mache sich etwa klar, daß Parzival, Simplizissimus und ppe_461.022 Wilhelm Meister alle drei von deutschen Dichtern gedichtet sind, alle ppe_461.023 drei deutsches Wesen darstellen, aber in den drei verschiedenen Zeiten, ppe_461.024 in so verschiedener Art, daß der oberflächliche Blick kaum Verwandtschaft ppe_461.025 zwischen ihnen feststellen kann. Bei der Einheit von ppe_461.026 Erleben und Dichten muß man annehmen, daß das Erlebnis des Dichters ppe_461.027 auch das Erlebnis seiner Nation in seiner Zeit sein muß.“ ppe_461.028 Man kann weitergehen, wenn man über diese Sinnbilder deutschen ppe_461.029 Wesens zu seiner größten überzeitlichen Ausprägung gelangt, zu ppe_461.030 Goethes „Faust“, in dem nicht nur eine Nation, sondern die Menschheit ppe_461.031 sich selbst, ihr Schicksal und ihr Streben erkannt hat. Die Gestalt ppe_461.032 konnte solche sinnbildhafte Geltung nur erhalten, weil sie keine ppe_461.033 humane Abstraktion bedeutet, sondern erlebnisgesättigt aus der Volkheit ppe_461.034 aufgestiegen ist und in ihrer Wesensart das Ganze darstellt, das ppe_461.035 in seiner verkörperten Wirklichkeit sinnbildhaft werden kann für ppe_461.036 Schicksal und Gemeinschaft der Menschheit. ppe_461.037 Die Großen sind dadurch aufgestiegen, daß alle Kräfte des Volkstums ppe_461.038 in ihnen lebendig sind; ihre Deutung hat zu zeigen, daß sie nicht ppe_461.039 nur sich selbst, sondern Blut und Stamm, Landschaft und Gesellschaft ppe_461.040 vor der Menschheit voll vertreten. Schon zu Goethes Lebzeiten ppe_461.041 hat der kerndeutsche Ernst Moritz Arndt in seinen „Briefen an

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/485>, abgerufen am 22.11.2024.