Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.schichtspietätsvolle Auge schweben ja um jene Stätten die Geister Wohl giebt es durch den schwankenden Lauf der Geschichte auch ſchichtspietätsvolle Auge ſchweben ja um jene Stätten die Geiſter Wohl giebt es durch den ſchwankenden Lauf der Geſchichte auch <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0030" n="20"/> ſchichtspietätsvolle Auge ſchweben ja um jene Stätten die Geiſter<lb/> der Vergangenheit und laſſen uns das an ſich Bedeutungsloſe in<lb/> einem neuen Lichte erſcheinen. Selbſt die „zerfallenen Schlöſſer<lb/> auf unſrem Kontinent, dem alten“ ſind nicht bloß dekorativer<lb/> Schmuck für das äſthetiſche Auge, wenn ſie ſich z. B. ſpiegeln in<lb/> den grünen Fluthen unſeres Rheins, ſondern Malzeichen unſerer<lb/> wechſelvollen Vergangenheit, mit welcher ihre ſtumme Sprache,<lb/> aus der doch „klingt ein hoher Klang,“ uns ſympathiſch in Ver¬<lb/> bindung ſetzt und allerlei, über die Schranke der Jahrhunderte<lb/> ſpringende Gedanken wach ruft, in denen man ſich ſo recht als<lb/> Volksganzes zu fühlen lernt. — Dazu kommt das identiſchmitlebende,<lb/> im Verfluß der Zeiten ſich ſelbſt weiter webende Geiſterhand, die<lb/> „<hi rendition="#g">Mutterſprache</hi>,“ des Nationalgeiſts Grund-Symbol und<lb/> Organ, darum die Hauptſcheide der Völker, die einzig wirklich<lb/> natürliche Grenze.</p><lb/> <p>Wohl giebt es durch den ſchwankenden Lauf der Geſchichte auch<lb/><hi rendition="#g">künſtliche Gebilde</hi> d. h. Staaten, die verſchiedene Nationali¬<lb/> täten umfaſſen, oder Nationen, die ſich nicht bloß fragmentariſch<lb/> auf mehrere Staaten vertheilen. Aber auch in ſolchem Zuſam¬<lb/> menleben muß ſich durchaus eine Art von Nationalbewußtſein zwei¬<lb/> ten Grads bilden. Je kürzer oder dürftiger die verkittende Ge¬<lb/> ſchichte hier iſt, deſto energiſcher, ja beinahe ängſtlich klammert<lb/> man ſich an das Wenige, was ſie bietet, und wäre es ſelbſt ein<lb/> zweifelhafter Kern, vom Epheu reichſter Mythologie umrankt, oder<lb/> reichte, den fremden Ereigniſſen der Gegenwart lange nicht mehr<lb/> ebenbürtig, in eine graue Vergangenheit naiv einfacher Verhält¬<lb/> niſſe zurück. So lebhaft iſt der Geſchichtsdrang eines jeden ge¬<lb/> ſellſchaftlichen Organismus. Aber ohne mächtigen äußeren Zu¬<lb/> ſammenhalt, ſei es nun der gewölbbauartige Gegendruck der rings¬<lb/> umgebenden Nachbarn, oder die weſentliche Einheit ſtark ausge¬<lb/> bildeter materieller Intereſſen, iſt hier doch die Gefahr innerer<lb/></p> </body> </text> </TEI> [20/0030]
ſchichtspietätsvolle Auge ſchweben ja um jene Stätten die Geiſter
der Vergangenheit und laſſen uns das an ſich Bedeutungsloſe in
einem neuen Lichte erſcheinen. Selbſt die „zerfallenen Schlöſſer
auf unſrem Kontinent, dem alten“ ſind nicht bloß dekorativer
Schmuck für das äſthetiſche Auge, wenn ſie ſich z. B. ſpiegeln in
den grünen Fluthen unſeres Rheins, ſondern Malzeichen unſerer
wechſelvollen Vergangenheit, mit welcher ihre ſtumme Sprache,
aus der doch „klingt ein hoher Klang,“ uns ſympathiſch in Ver¬
bindung ſetzt und allerlei, über die Schranke der Jahrhunderte
ſpringende Gedanken wach ruft, in denen man ſich ſo recht als
Volksganzes zu fühlen lernt. — Dazu kommt das identiſchmitlebende,
im Verfluß der Zeiten ſich ſelbſt weiter webende Geiſterhand, die
„Mutterſprache,“ des Nationalgeiſts Grund-Symbol und
Organ, darum die Hauptſcheide der Völker, die einzig wirklich
natürliche Grenze.
Wohl giebt es durch den ſchwankenden Lauf der Geſchichte auch
künſtliche Gebilde d. h. Staaten, die verſchiedene Nationali¬
täten umfaſſen, oder Nationen, die ſich nicht bloß fragmentariſch
auf mehrere Staaten vertheilen. Aber auch in ſolchem Zuſam¬
menleben muß ſich durchaus eine Art von Nationalbewußtſein zwei¬
ten Grads bilden. Je kürzer oder dürftiger die verkittende Ge¬
ſchichte hier iſt, deſto energiſcher, ja beinahe ängſtlich klammert
man ſich an das Wenige, was ſie bietet, und wäre es ſelbſt ein
zweifelhafter Kern, vom Epheu reichſter Mythologie umrankt, oder
reichte, den fremden Ereigniſſen der Gegenwart lange nicht mehr
ebenbürtig, in eine graue Vergangenheit naiv einfacher Verhält¬
niſſe zurück. So lebhaft iſt der Geſchichtsdrang eines jeden ge¬
ſellſchaftlichen Organismus. Aber ohne mächtigen äußeren Zu¬
ſammenhalt, ſei es nun der gewölbbauartige Gegendruck der rings¬
umgebenden Nachbarn, oder die weſentliche Einheit ſtark ausge¬
bildeter materieller Intereſſen, iſt hier doch die Gefahr innerer
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