Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Controle des Thieres standen, unbeweglich blieben. Diese Be¬
wegungen waren so entschieden ausgesprochen und so lange
fortgesetzt, dass es schwer gewesen sein würde, den Gedanken
an Empfindung und Willen in dem hinteren Theile des Körpers
abzuweisen (!!), wenn es nicht deutlich bemerkt worden wäre,
dass dasselbe Thier (er will sagen, das Hirnbewusstsein), wenn
es zu gehen versuchte, nur die Vorderbeine bewegen konnte,
durch deren Gewalt alsdann der unter der Trennung gelegene
bewegungslose Rumpf und die Hinterbeine über den Tisch ge¬
schleift wurden". (Grainger a. a. O. p. 55.)

Das Verwirrte der Argumentation über das Factum haben
wir bereits oben besprochen.

Aus den gegebenen Factis geht aber nur zu deutlich her¬
vor, dass die Behauptung, es entständen keine sogenannten
spontanen Bewegungen bei Enthaupteten mehr, eine, aller Be¬
gründung entbehrende, haltlose Behauptung ist. Die Annahme
eines etwa von Aussen kommenden Reizes ist hypothetisch und
kann deshalb die Möglichkeit der nur von Innen kommenden
Erregung der Motoren nicht ausschliessen.

Die Sache verhält sich aber in Wahrheit folgendermassen:
dass einestheils hier und da Bewegungen bei Enthaupteten
beobachtet werden, welche ohne Widerspruch "spontan" sein
können. Anderntheils aber gestehen wir zu, weil wir der
Wahrheit nicht um ein Haar breit zu nahe treten wollen, dass
im Allgemeinen ein enthauptetes Thier regungslos bleibt, bis
man es reizt.

Fragen wir aber, was uns das höchstens beweisen kann,
so folgt nicht mehr daraus, als dass das Bewusstsein, welches
noch vom Rückenmarke erhalten wird, so schwach ist, dass
nur ein äusserer Impuls es bewegen kann, aus seinem stummen
Hinstarren aufzuwachen und sich dem Forscher zu offenbaren.
Wir wollen uns indessen mit dieser trivialen Phrase nicht be¬
gnügen.

Indem das Bewusstsein den Bewegungen zuzuzählen ist,
wird es den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Hieraus folgt

Controle des Thieres standen, unbeweglich blieben. Diese Be¬
wegungen waren so entschieden ausgesprochen und so lange
fortgesetzt, dass es schwer gewesen sein würde, den Gedanken
an Empfindung und Willen in dem hinteren Theile des Körpers
abzuweisen (!!), wenn es nicht deutlich bemerkt worden wäre,
dass dasselbe Thier (er will sagen, das Hirnbewusstsein), wenn
es zu gehen versuchte, nur die Vorderbeine bewegen konnte,
durch deren Gewalt alsdann der unter der Trennung gelegene
bewegungslose Rumpf und die Hinterbeine über den Tisch ge¬
schleift wurden“. (Grainger a. a. O. p. 55.)

Das Verwirrte der Argumentation über das Factum haben
wir bereits oben besprochen.

Aus den gegebenen Factis geht aber nur zu deutlich her¬
vor, dass die Behauptung, es entständen keine sogenannten
spontanen Bewegungen bei Enthaupteten mehr, eine, aller Be¬
gründung entbehrende, haltlose Behauptung ist. Die Annahme
eines etwa von Aussen kommenden Reizes ist hypothetisch und
kann deshalb die Möglichkeit der nur von Innen kommenden
Erregung der Motoren nicht ausschliessen.

Die Sache verhält sich aber in Wahrheit folgendermassen:
dass einestheils hier und da Bewegungen bei Enthaupteten
beobachtet werden, welche ohne Widerspruch „spontan“ sein
können. Anderntheils aber gestehen wir zu, weil wir der
Wahrheit nicht um ein Haar breit zu nahe treten wollen, dass
im Allgemeinen ein enthauptetes Thier regungslos bleibt, bis
man es reizt.

Fragen wir aber, was uns das höchstens beweisen kann,
so folgt nicht mehr daraus, als dass das Bewusstsein, welches
noch vom Rückenmarke erhalten wird, so schwach ist, dass
nur ein äusserer Impuls es bewegen kann, aus seinem stummen
Hinstarren aufzuwachen und sich dem Forscher zu offenbaren.
Wir wollen uns indessen mit dieser trivialen Phrase nicht be¬
gnügen.

Indem das Bewusstsein den Bewegungen zuzuzählen ist,
wird es den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Hieraus folgt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="46"/>
Controle des Thieres standen, unbeweglich blieben. Diese Be¬<lb/>
wegungen waren so entschieden ausgesprochen und so lange<lb/>
fortgesetzt, dass es schwer gewesen sein würde, den Gedanken<lb/>
an Empfindung und Willen in dem hinteren Theile des Körpers<lb/>
abzuweisen (!!), wenn es nicht deutlich bemerkt worden wäre,<lb/>
dass dasselbe Thier (er will sagen, das Hirnbewusstsein), wenn<lb/>
es zu gehen versuchte, nur die Vorderbeine bewegen konnte,<lb/>
durch deren Gewalt alsdann der unter der Trennung gelegene<lb/>
bewegungslose Rumpf und die Hinterbeine über den Tisch ge¬<lb/>
schleift wurden&#x201C;. (<hi rendition="#g">Grainger</hi> a. a. O. p. 55.)</p><lb/>
        <p>Das Verwirrte der Argumentation über das Factum haben<lb/>
wir bereits oben besprochen.</p><lb/>
        <p>Aus den gegebenen Factis geht aber nur zu deutlich her¬<lb/>
vor, dass die Behauptung, es entständen keine sogenannten<lb/>
spontanen Bewegungen bei Enthaupteten mehr, eine, aller Be¬<lb/>
gründung entbehrende, haltlose Behauptung ist. Die Annahme<lb/>
eines etwa von Aussen kommenden Reizes ist hypothetisch und<lb/>
kann deshalb die Möglichkeit der nur von Innen kommenden<lb/>
Erregung der Motoren nicht ausschliessen.</p><lb/>
        <p>Die Sache verhält sich aber in Wahrheit folgendermassen:<lb/>
dass einestheils hier und da Bewegungen bei Enthaupteten<lb/>
beobachtet werden, welche ohne Widerspruch &#x201E;<hi rendition="#g">spontan</hi>&#x201C; sein<lb/><hi rendition="#g">können</hi>. Anderntheils aber gestehen wir zu, weil wir der<lb/>
Wahrheit nicht um ein Haar breit zu nahe treten wollen, dass<lb/>
im <hi rendition="#i">Allgemeinen</hi> ein enthauptetes Thier regungslos bleibt, bis<lb/>
man es reizt.</p><lb/>
        <p>Fragen wir aber, was uns das höchstens beweisen kann,<lb/>
so folgt nicht mehr daraus, als dass das Bewusstsein, welches<lb/>
noch vom Rückenmarke erhalten wird, so schwach ist, dass<lb/>
nur ein äusserer Impuls es bewegen kann, aus seinem stummen<lb/>
Hinstarren aufzuwachen und sich dem Forscher zu offenbaren.<lb/>
Wir wollen uns indessen mit dieser trivialen Phrase nicht be¬<lb/>
gnügen.</p><lb/>
        <p>Indem das Bewusstsein den Bewegungen zuzuzählen ist,<lb/>
wird es den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Hieraus folgt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0068] Controle des Thieres standen, unbeweglich blieben. Diese Be¬ wegungen waren so entschieden ausgesprochen und so lange fortgesetzt, dass es schwer gewesen sein würde, den Gedanken an Empfindung und Willen in dem hinteren Theile des Körpers abzuweisen (!!), wenn es nicht deutlich bemerkt worden wäre, dass dasselbe Thier (er will sagen, das Hirnbewusstsein), wenn es zu gehen versuchte, nur die Vorderbeine bewegen konnte, durch deren Gewalt alsdann der unter der Trennung gelegene bewegungslose Rumpf und die Hinterbeine über den Tisch ge¬ schleift wurden“. (Grainger a. a. O. p. 55.) Das Verwirrte der Argumentation über das Factum haben wir bereits oben besprochen. Aus den gegebenen Factis geht aber nur zu deutlich her¬ vor, dass die Behauptung, es entständen keine sogenannten spontanen Bewegungen bei Enthaupteten mehr, eine, aller Be¬ gründung entbehrende, haltlose Behauptung ist. Die Annahme eines etwa von Aussen kommenden Reizes ist hypothetisch und kann deshalb die Möglichkeit der nur von Innen kommenden Erregung der Motoren nicht ausschliessen. Die Sache verhält sich aber in Wahrheit folgendermassen: dass einestheils hier und da Bewegungen bei Enthaupteten beobachtet werden, welche ohne Widerspruch „spontan“ sein können. Anderntheils aber gestehen wir zu, weil wir der Wahrheit nicht um ein Haar breit zu nahe treten wollen, dass im Allgemeinen ein enthauptetes Thier regungslos bleibt, bis man es reizt. Fragen wir aber, was uns das höchstens beweisen kann, so folgt nicht mehr daraus, als dass das Bewusstsein, welches noch vom Rückenmarke erhalten wird, so schwach ist, dass nur ein äusserer Impuls es bewegen kann, aus seinem stummen Hinstarren aufzuwachen und sich dem Forscher zu offenbaren. Wir wollen uns indessen mit dieser trivialen Phrase nicht be¬ gnügen. Indem das Bewusstsein den Bewegungen zuzuzählen ist, wird es den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Hieraus folgt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/68
Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/68>, abgerufen am 21.11.2024.