Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

vor der erhabenen Dichterey.
der in die Höhe, wie das gedämpfte Feuer, wenn
es Luft bekömmt.

§ 5. Aus dem angeführten erhellet nun so
viel bereits zur Gnüge, daß die erhabenen und
kriechenden Poeten gegen einander zwey
Schlacht-Heere
formiren, die stets mit einan-
der zu Felde liegen, einander scharmuziren, at-
taquiren und zu überwältigen suchen. Der er-
habene
Poet, wenn er ja den Kürzern zöge, hat
die freye Luft vor sich, sich immer höher zu
schwingen, daß ihm der kriechende poetische
Wurm
nicht nachkommen könne. Der krie-
chende
Poete aber hat auch von der vorsichtigen
Natur seine Frey-Städte und Retirade-Oerter
erhalten, nämlich die Fels-Löcher und Klüfte
der Erden,
sich dahinein, gleich einer verscheuch-
ten Maus, zu verbergen. Es ist also auch an
keine Union oder Frieden zwischen erhabenen
und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn
bey andern Friedens-Geschäften geben beyde
Theile nach,
und lassen etwas von ihren An-
sprüchen gegen einander schwinden; oder auch,
sie verwechseln die Gebiete, und tritt einer dem
andern was von seinem ab, dagegen er sich in
ein ihm gelegeneres Stück Land des andern setzet.
Aber der erhabene Poete kann so wenig von sei-
nen Ansprüchen gegen den kriechenden was fal-
len lassen, als ihm auch nichts von seinem Re-
vier
abtreten. Es würde sonst eben so heraus
kommen, als wenn die Maus mit dem Fische
accordiren wollte, der Fisch solle auf der Erde,

und

vor der erhabenen Dichterey.
der in die Hoͤhe, wie das gedaͤmpfte Feuer, wenn
es Luft bekoͤmmt.

§ 5. Aus dem angefuͤhrten erhellet nun ſo
viel bereits zur Gnuͤge, daß die erhabenen und
kriechenden Poeten gegen einander zwey
Schlacht-Heere
formiren, die ſtets mit einan-
der zu Felde liegen, einander ſcharmuziren, at-
taquiren und zu uͤberwaͤltigen ſuchen. Der er-
habene
Poet, wenn er ja den Kuͤrzern zoͤge, hat
die freye Luft vor ſich, ſich immer hoͤher zu
ſchwingen, daß ihm der kriechende poetiſche
Wurm
nicht nachkommen koͤnne. Der krie-
chende
Poete aber hat auch von der vorſichtigen
Natur ſeine Frey-Staͤdte und Retirade-Oerter
erhalten, naͤmlich die Fels-Loͤcher und Kluͤfte
der Erden,
ſich dahinein, gleich einer verſcheuch-
ten Maus, zu verbergen. Es iſt alſo auch an
keine Union oder Frieden zwiſchen erhabenen
und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn
bey andern Friedens-Geſchaͤften geben beyde
Theile nach,
und laſſen etwas von ihren An-
ſpruͤchen gegen einander ſchwinden; oder auch,
ſie verwechſeln die Gebiete, und tritt einer dem
andern was von ſeinem ab, dagegen er ſich in
ein ihm gelegeneres Stuͤck Land des andern ſetzet.
Aber der erhabene Poete kann ſo wenig von ſei-
nen Anſpruͤchen gegen den kriechenden was fal-
len laſſen, als ihm auch nichts von ſeinem Re-
vier
abtreten. Es wuͤrde ſonſt eben ſo heraus
kommen, als wenn die Maus mit dem Fiſche
accordiren wollte, der Fiſch ſolle auf der Erde,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">vor der erhabenen Dichterey.</hi></fw><lb/>
der in die Ho&#x0364;he, wie das geda&#x0364;mpfte Feuer, wenn<lb/>
es Luft beko&#x0364;mmt.</p><lb/>
        <p>§ 5. Aus dem angefu&#x0364;hrten erhellet nun &#x017F;o<lb/>
viel bereits zur Gnu&#x0364;ge, daß die erhabenen und<lb/>
kriechenden Poeten gegen einander <hi rendition="#fr">zwey<lb/>
Schlacht-Heere</hi> formiren, die &#x017F;tets mit einan-<lb/>
der zu Felde liegen, einander &#x017F;charmuziren, at-<lb/>
taquiren und zu u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen &#x017F;uchen. Der <hi rendition="#fr">er-<lb/>
habene</hi> Poet, wenn er ja den Ku&#x0364;rzern zo&#x0364;ge, hat<lb/>
die <hi rendition="#fr">freye Luft</hi> vor &#x017F;ich, &#x017F;ich immer ho&#x0364;her zu<lb/>
&#x017F;chwingen, daß ihm der <hi rendition="#fr">kriechende poeti&#x017F;che<lb/>
Wurm</hi> nicht nachkommen ko&#x0364;nne. Der <hi rendition="#fr">krie-<lb/>
chende</hi> Poete aber hat auch von der vor&#x017F;ichtigen<lb/>
Natur &#x017F;eine Frey-Sta&#x0364;dte und Retirade-Oerter<lb/>
erhalten, na&#x0364;mlich die <hi rendition="#fr">Fels-Lo&#x0364;cher</hi> und <hi rendition="#fr">Klu&#x0364;fte<lb/>
der Erden,</hi> &#x017F;ich dahinein, gleich einer ver&#x017F;cheuch-<lb/>
ten Maus, zu verbergen. Es i&#x017F;t al&#x017F;o auch an<lb/><hi rendition="#fr">keine Union</hi> oder <hi rendition="#fr">Frieden</hi> zwi&#x017F;chen erhabenen<lb/>
und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn<lb/>
bey andern Friedens-Ge&#x017F;cha&#x0364;ften geben <hi rendition="#fr">beyde<lb/>
Theile nach,</hi> und la&#x017F;&#x017F;en etwas von ihren An-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;chen gegen einander &#x017F;chwinden; oder auch,<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#fr">verwech&#x017F;eln</hi> die Gebiete, und tritt einer dem<lb/>
andern was von &#x017F;einem ab, dagegen er &#x017F;ich in<lb/>
ein ihm gelegeneres Stu&#x0364;ck Land des andern &#x017F;etzet.<lb/>
Aber der erhabene Poete kann &#x017F;o wenig von &#x017F;ei-<lb/>
nen <hi rendition="#fr">An&#x017F;pru&#x0364;chen</hi> gegen den kriechenden was fal-<lb/>
len la&#x017F;&#x017F;en, als ihm auch nichts von &#x017F;einem <hi rendition="#fr">Re-<lb/>
vier</hi> abtreten. Es wu&#x0364;rde &#x017F;on&#x017F;t eben &#x017F;o heraus<lb/>
kommen, als wenn die Maus mit dem Fi&#x017F;che<lb/>
accordiren wollte, der Fi&#x017F;ch &#x017F;olle auf der Erde,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0133] vor der erhabenen Dichterey. der in die Hoͤhe, wie das gedaͤmpfte Feuer, wenn es Luft bekoͤmmt. § 5. Aus dem angefuͤhrten erhellet nun ſo viel bereits zur Gnuͤge, daß die erhabenen und kriechenden Poeten gegen einander zwey Schlacht-Heere formiren, die ſtets mit einan- der zu Felde liegen, einander ſcharmuziren, at- taquiren und zu uͤberwaͤltigen ſuchen. Der er- habene Poet, wenn er ja den Kuͤrzern zoͤge, hat die freye Luft vor ſich, ſich immer hoͤher zu ſchwingen, daß ihm der kriechende poetiſche Wurm nicht nachkommen koͤnne. Der krie- chende Poete aber hat auch von der vorſichtigen Natur ſeine Frey-Staͤdte und Retirade-Oerter erhalten, naͤmlich die Fels-Loͤcher und Kluͤfte der Erden, ſich dahinein, gleich einer verſcheuch- ten Maus, zu verbergen. Es iſt alſo auch an keine Union oder Frieden zwiſchen erhabenen und kriechenden Poeten zu gedenken. Denn bey andern Friedens-Geſchaͤften geben beyde Theile nach, und laſſen etwas von ihren An- ſpruͤchen gegen einander ſchwinden; oder auch, ſie verwechſeln die Gebiete, und tritt einer dem andern was von ſeinem ab, dagegen er ſich in ein ihm gelegeneres Stuͤck Land des andern ſetzet. Aber der erhabene Poete kann ſo wenig von ſei- nen Anſpruͤchen gegen den kriechenden was fal- len laſſen, als ihm auch nichts von ſeinem Re- vier abtreten. Es wuͤrde ſonſt eben ſo heraus kommen, als wenn die Maus mit dem Fiſche accordiren wollte, der Fiſch ſolle auf der Erde, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/133
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/133>, abgerufen am 21.11.2024.