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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Zwey hundert Maximen
ist, weil er von einem Freunde oder angesehenen
Manne, herrühret, würde ihm unschmackhaft
vorkommen, wenn ihn sein Feind oder ein un-
angesehener Mann vorgebracht hätte.
X. Manche Schriften der Gelehrten, die das
Unglück haben, in üblem Rufe zu stehen, wür-
den für die herrlichsten Gedanken angepriesen
werden, wenn nur ein berühmter Name davor
stünde; hingegen auch würden viele Schriften
großer Männer einem anstinken, wenn ein
verhaßter Name solchen vorangesetzet wäre.
Der Credit, darinn ein Scribent stehet, giebt
oft den schlechtesten Gedanken das trefflichste
Ansehen.
XI. Es ist etwas ohnmögliches, und eine
Thorheit, zu verlangen, daß alle Menschen ei-
nerley Geschmack
haben sollen. Wie die Na-
tur einen Unterschied unter denen Sachen und
Personen gemacht: Also auch in dem Geschmak-
ke. Daher können zwey einen ganz widrigen,
und doch beyde einen guten Geschmack haben.
XII. Wie derjenige, der gern Saures isset,
darum nicht einen bessern Geschmack hat, als
der gern Süßes kostet, sondern den einen das
Süße so empfindlich rühren kann, als den an-
dern das Saure; eben so kann einer, der ernst-
haften Gemüthes ist, mehr Geschmack an ernst-
haften Sachen finden; dagegen dem, der eines
lustigen scherzhaften Gemüthes ist, die aufge-
weckten badinirenden Einfälle mehr gefallen.
Gleichwol kann man nicht sagen, daß einer von
beyden
Zwey hundert Maximen
iſt, weil er von einem Freunde oder angeſehenen
Manne, herruͤhret, wuͤrde ihm unſchmackhaft
vorkommen, wenn ihn ſein Feind oder ein un-
angeſehener Mann vorgebracht haͤtte.
X. Manche Schriften der Gelehrten, die das
Ungluͤck haben, in uͤblem Rufe zu ſtehen, wuͤr-
den fuͤr die herrlichſten Gedanken angeprieſen
werden, wenn nur ein beruͤhmter Name davor
ſtuͤnde; hingegen auch wuͤrden viele Schriften
großer Maͤnner einem anſtinken, wenn ein
verhaßter Name ſolchen vorangeſetzet waͤre.
Der Credit, darinn ein Scribent ſtehet, giebt
oft den ſchlechteſten Gedanken das trefflichſte
Anſehen.
XI. Es iſt etwas ohnmoͤgliches, und eine
Thorheit, zu verlangen, daß alle Menſchen ei-
nerley Geſchmack
haben ſollen. Wie die Na-
tur einen Unterſchied unter denen Sachen und
Perſonen gemacht: Alſo auch in dem Geſchmak-
ke. Daher koͤnnen zwey einen ganz widrigen,
und doch beyde einen guten Geſchmack haben.
XII. Wie derjenige, der gern Saures iſſet,
darum nicht einen beſſern Geſchmack hat, als
der gern Suͤßes koſtet, ſondern den einen das
Suͤße ſo empfindlich ruͤhren kann, als den an-
dern das Saure; eben ſo kann einer, der ernſt-
haften Gemuͤthes iſt, mehr Geſchmack an ernſt-
haften Sachen finden; dagegen dem, der eines
luſtigen ſcherzhaften Gemuͤthes iſt, die aufge-
weckten badinirenden Einfaͤlle mehr gefallen.
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[190/0198] Zwey hundert Maximen iſt, weil er von einem Freunde oder angeſehenen Manne, herruͤhret, wuͤrde ihm unſchmackhaft vorkommen, wenn ihn ſein Feind oder ein un- angeſehener Mann vorgebracht haͤtte. X. Manche Schriften der Gelehrten, die das Ungluͤck haben, in uͤblem Rufe zu ſtehen, wuͤr- den fuͤr die herrlichſten Gedanken angeprieſen werden, wenn nur ein beruͤhmter Name davor ſtuͤnde; hingegen auch wuͤrden viele Schriften großer Maͤnner einem anſtinken, wenn ein verhaßter Name ſolchen vorangeſetzet waͤre. Der Credit, darinn ein Scribent ſtehet, giebt oft den ſchlechteſten Gedanken das trefflichſte Anſehen. XI. Es iſt etwas ohnmoͤgliches, und eine Thorheit, zu verlangen, daß alle Menſchen ei- nerley Geſchmack haben ſollen. Wie die Na- tur einen Unterſchied unter denen Sachen und Perſonen gemacht: Alſo auch in dem Geſchmak- ke. Daher koͤnnen zwey einen ganz widrigen, und doch beyde einen guten Geſchmack haben. XII. Wie derjenige, der gern Saures iſſet, darum nicht einen beſſern Geſchmack hat, als der gern Suͤßes koſtet, ſondern den einen das Suͤße ſo empfindlich ruͤhren kann, als den an- dern das Saure; eben ſo kann einer, der ernſt- haften Gemuͤthes iſt, mehr Geſchmack an ernſt- haften Sachen finden; dagegen dem, der eines luſtigen ſcherzhaften Gemuͤthes iſt, die aufge- weckten badinirenden Einfaͤlle mehr gefallen. Gleichwol kann man nicht ſagen, daß einer von beyden

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/198>, abgerufen am 22.11.2024.