Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Zwey hundert Maximen LV. Man muß auch den genium seculi wohl bedenken. Denn jetzo ist manche Art des Vortrages schmackhaft, die vielleicht unsern Vorfahren abgeschmackt geschienen, und un- sern Nachkommen sehr verwöhnt vorkommen dürfte. Nach diesem gusto des jetzigen Seculi luxuriantis pflegen sich insonderheit auch die Buchhändler zu richten; daher manche Schar- teke itzt stark gehet, die zu einer andern Zeit würde des Verlags nicht werth geachtet wor- den seyn. LVI. Wer sich gegen die allgemeine Obser- vanz und eingeführten Gebrauch, oder gar den durchgängigen Wohlstand und sensum com- munem polirter Nationen auflehnet, der muß entweder sonst schon ein Mann von sehr hohem Ansehen seyn, um durch den Damm eingerisse- ner allgemeiner Vorurtheile und Foiblessen hindurch zu brechen; oder man wird sagen, daß er mit seinem singulairen Geschmacke zu Hause bleiben, und sich nicht selber prostituiren solle. LVII. Wer einer hohen Schreib-Art sich bedienen will, da doch die Sache, die er abhan- delt, in sich gemein und niedrig ist, der wird für einen Menschen von lächerlichem Geschmacke gehalten werden. LVIII. Aufgeblasene Worte, dahinter kahle oder kriechende Gedanken stecken, verrathen einen närrischen Phöbus-Geschmack. LIX. Wer viel verwirrte Gedanken in unverständliche Worte zusammen raffet; der verräth
Zwey hundert Maximen LV. Man muß auch den genium ſeculi wohl bedenken. Denn jetzo iſt manche Art des Vortrages ſchmackhaft, die vielleicht unſern Vorfahren abgeſchmackt geſchienen, und un- ſern Nachkommen ſehr verwoͤhnt vorkommen duͤrfte. Nach dieſem guſto des jetzigen Seculi luxuriantis pflegen ſich inſonderheit auch die Buchhaͤndler zu richten; daher manche Schar- teke itzt ſtark gehet, die zu einer andern Zeit wuͤrde des Verlags nicht werth geachtet wor- den ſeyn. LVI. Wer ſich gegen die allgemeine Obſer- vanz und eingefuͤhrten Gebrauch, oder gar den durchgaͤngigen Wohlſtand und ſenſum com- munem polirter Nationen auflehnet, der muß entweder ſonſt ſchon ein Mann von ſehr hohem Anſehen ſeyn, um durch den Damm eingeriſſe- ner allgemeiner Vorurtheile und Foibleſſen hindurch zu brechen; oder man wird ſagen, daß er mit ſeinem ſingulairen Geſchmacke zu Hauſe bleiben, und ſich nicht ſelber proſtituiren ſolle. LVII. Wer einer hohen Schreib-Art ſich bedienen will, da doch die Sache, die er abhan- delt, in ſich gemein und niedrig iſt, der wird fuͤr einen Menſchen von laͤcherlichem Geſchmacke gehalten werden. LVIII. Aufgeblaſene Worte, dahinter kahle oder kriechende Gedanken ſtecken, verrathen einen naͤrriſchen Phoͤbus-Geſchmack. LIX. Wer viel verwirrte Gedanken in unverſtaͤndliche Worte zuſammen raffet; der verraͤth
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Zwey hundert Maximen
LV. Man muß auch den genium ſeculi
wohl bedenken. Denn jetzo iſt manche Art des
Vortrages ſchmackhaft, die vielleicht unſern
Vorfahren abgeſchmackt geſchienen, und un-
ſern Nachkommen ſehr verwoͤhnt vorkommen
duͤrfte. Nach dieſem guſto des jetzigen Seculi
luxuriantis pflegen ſich inſonderheit auch die
Buchhaͤndler zu richten; daher manche Schar-
teke itzt ſtark gehet, die zu einer andern Zeit
wuͤrde des Verlags nicht werth geachtet wor-
den ſeyn.
LVI. Wer ſich gegen die allgemeine Obſer-
vanz und eingefuͤhrten Gebrauch, oder gar den
durchgaͤngigen Wohlſtand und ſenſum com-
munem polirter Nationen auflehnet, der muß
entweder ſonſt ſchon ein Mann von ſehr hohem
Anſehen ſeyn, um durch den Damm eingeriſſe-
ner allgemeiner Vorurtheile und Foibleſſen
hindurch zu brechen; oder man wird ſagen, daß
er mit ſeinem ſingulairen Geſchmacke zu Hauſe
bleiben, und ſich nicht ſelber proſtituiren ſolle.
LVII. Wer einer hohen Schreib-Art ſich
bedienen will, da doch die Sache, die er abhan-
delt, in ſich gemein und niedrig iſt, der wird fuͤr
einen Menſchen von laͤcherlichem Geſchmacke
gehalten werden.
LVIII. Aufgeblaſene Worte, dahinter kahle
oder kriechende Gedanken ſtecken, verrathen
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