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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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V. Potage von Hühnern.
Speise-Haus kommen. Was dem einen gut
schmecket, das stehet dem andern gar nicht an.
Einer will Saures, der andere Süßes haben.
Einer harte, der andere weiche Speisen. Einer
verlangt Hühner mit Potage, dafür der andere
gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das
Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den
Flügel, oder von der Brust. Gleichwol hört
man unter vernünftigen Gästen nicht, daß einer
den andern darüber hohnecke, oder auslache,
wenn er sich gerade was anders geben lässet,
als der andere. Darum trägt eben der Wirth
vielerley auf, oder schreibt mancherley Gerichte
an die Speise-Tafel, damit jeder essen könne,
was ihm beliebet. Dieser universellen Koch-
und Geschmacks-Regel entgegen trägt der neue
Traiteur in seinem sogenannten Tempel des gu-
ten Geschmacks nur ein einzig Gerichte auf,
nämlich Hühner mit Potage, und wer nicht
dieses einzige Gerichte essen will, oder andere
Gerichte gegessen hat, den erklärt sein critischer
Magen
glatt weg für einen Menschen von üb-
lem Geschmacke. Zwar er redet ja von Red-
nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro-
feßions-Poeten und Passagieren in der Poesie,
von Gottesgelehrten, Weltweisen und Juristen,
von Schweizern, Sachsen, Schlesiern, Ham-
burgern und Preussen; aber ich bleibe dabey,
er will durchaus haben, alle seine Gäste sollen
Hühner mit Budasche, wie jener Traiteur an-
statt Potage schrieb, essen. Denn alle diese

einge-

V. Potage von Huͤhnern.
Speiſe-Haus kommen. Was dem einen gut
ſchmecket, das ſtehet dem andern gar nicht an.
Einer will Saures, der andere Suͤßes haben.
Einer harte, der andere weiche Speiſen. Einer
verlangt Huͤhner mit Potage, dafuͤr der andere
gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das
Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den
Fluͤgel, oder von der Bruſt. Gleichwol hoͤrt
man unter vernuͤnftigen Gaͤſten nicht, daß einer
den andern daruͤber hohnecke, oder auslache,
wenn er ſich gerade was anders geben laͤſſet,
als der andere. Darum traͤgt eben der Wirth
vielerley auf, oder ſchreibt mancherley Gerichte
an die Speiſe-Tafel, damit jeder eſſen koͤnne,
was ihm beliebet. Dieſer univerſellen Koch-
und Geſchmacks-Regel entgegen traͤgt der neue
Traiteur in ſeinem ſogenannten Tempel des gu-
ten Geſchmacks nur ein einzig Gerichte auf,
naͤmlich Huͤhner mit Potage, und wer nicht
dieſes einzige Gerichte eſſen will, oder andere
Gerichte gegeſſen hat, den erklaͤrt ſein critiſcher
Magen
glatt weg fuͤr einen Menſchen von uͤb-
lem Geſchmacke. Zwar er redet ja von Red-
nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro-
feßions-Poeten und Paſſagieren in der Poeſie,
von Gottesgelehrten, Weltweiſen und Juriſten,
von Schweizern, Sachſen, Schleſiern, Ham-
burgern und Preuſſen; aber ich bleibe dabey,
er will durchaus haben, alle ſeine Gaͤſte ſollen
Huͤhner mit Budaſche, wie jener Traiteur an-
ſtatt Potage ſchrieb, eſſen. Denn alle dieſe

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[269/0277] V. Potage von Huͤhnern. Speiſe-Haus kommen. Was dem einen gut ſchmecket, das ſtehet dem andern gar nicht an. Einer will Saures, der andere Suͤßes haben. Einer harte, der andere weiche Speiſen. Einer verlangt Huͤhner mit Potage, dafuͤr der andere gerade einen Ekel hat. Einer will lieber das Hinterviertel einer Gans, der andre lieber den Fluͤgel, oder von der Bruſt. Gleichwol hoͤrt man unter vernuͤnftigen Gaͤſten nicht, daß einer den andern daruͤber hohnecke, oder auslache, wenn er ſich gerade was anders geben laͤſſet, als der andere. Darum traͤgt eben der Wirth vielerley auf, oder ſchreibt mancherley Gerichte an die Speiſe-Tafel, damit jeder eſſen koͤnne, was ihm beliebet. Dieſer univerſellen Koch- und Geſchmacks-Regel entgegen traͤgt der neue Traiteur in ſeinem ſogenannten Tempel des gu- ten Geſchmacks nur ein einzig Gerichte auf, naͤmlich Huͤhner mit Potage, und wer nicht dieſes einzige Gerichte eſſen will, oder andere Gerichte gegeſſen hat, den erklaͤrt ſein critiſcher Magen glatt weg fuͤr einen Menſchen von uͤb- lem Geſchmacke. Zwar er redet ja von Red- nern und Dichtern, Alten und Neuen, von Pro- feßions-Poeten und Paſſagieren in der Poeſie, von Gottesgelehrten, Weltweiſen und Juriſten, von Schweizern, Sachſen, Schleſiern, Ham- burgern und Preuſſen; aber ich bleibe dabey, er will durchaus haben, alle ſeine Gaͤſte ſollen Huͤhner mit Budaſche, wie jener Traiteur an- ſtatt Potage ſchrieb, eſſen. Denn alle dieſe einge-

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/277>, abgerufen am 24.11.2024.