Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bauern setzte der Knecht in Gedanken sein Sprüchlein entgegen: "Selbst ist der Mann!" Aber Feuer und Liebe, wer kann die verbergen? Dem Alten ging, wie er sich ausdrückte, längst schon der Hund vor dem Licht um. Doch wer ehrlich ist, sucht Andere nicht hinter dem Ofen, daher traute er auch Klaus keine Schlechtigkeit zu. Es war im Juli beim Heuen. Was eine Hand regen konnte, führte die Sense, und in langen Schwaden trocknete das Gras an der glühenden Sonne. Die Arbeiter blickten oft nach dem Schatten eines Ahorns, ob er nicht von West nach Osten vorrücken und ihnen endlich die Raststunde zwischen Vor- und Nachmittag verkünden möchte. Das war ihre Uhr, denn vom Dorfe herauf hörte man keinen Glockenschlag. Laßt jetzt gut sein! rief endlich der alte Nidinger, und die Sensen sanken zu Boden. Die Mäher zogen sich unter das breite Laubdach des Baumes zurück, nur Klaus eilte auf die mäßige Höhe vor der Wiese, um auszuschauen, ob Walburg nicht bald das Essen bringe. Da stieg sie auf der Seite des Abhanges langsam empor, auf dem Kopf einen Korb mit einem weißen Tuche überdeckt, zwischen dem Weidengeflecht guckten die braunen Schmalznudeln durch, in der Hand trug sie eine zinnerne Flasche mit saurer Milch als Labung in der Hitze des Tages. Klaus sprang ihr entgegen, er nahm ihr das schwere Geschirr aus der Rechten; wie sie aber mit der Linken nach dem Korbe griff, um ihn Bauern setzte der Knecht in Gedanken sein Sprüchlein entgegen: „Selbst ist der Mann!“ Aber Feuer und Liebe, wer kann die verbergen? Dem Alten ging, wie er sich ausdrückte, längst schon der Hund vor dem Licht um. Doch wer ehrlich ist, sucht Andere nicht hinter dem Ofen, daher traute er auch Klaus keine Schlechtigkeit zu. Es war im Juli beim Heuen. Was eine Hand regen konnte, führte die Sense, und in langen Schwaden trocknete das Gras an der glühenden Sonne. Die Arbeiter blickten oft nach dem Schatten eines Ahorns, ob er nicht von West nach Osten vorrücken und ihnen endlich die Raststunde zwischen Vor- und Nachmittag verkünden möchte. Das war ihre Uhr, denn vom Dorfe herauf hörte man keinen Glockenschlag. Laßt jetzt gut sein! rief endlich der alte Nidinger, und die Sensen sanken zu Boden. Die Mäher zogen sich unter das breite Laubdach des Baumes zurück, nur Klaus eilte auf die mäßige Höhe vor der Wiese, um auszuschauen, ob Walburg nicht bald das Essen bringe. Da stieg sie auf der Seite des Abhanges langsam empor, auf dem Kopf einen Korb mit einem weißen Tuche überdeckt, zwischen dem Weidengeflecht guckten die braunen Schmalznudeln durch, in der Hand trug sie eine zinnerne Flasche mit saurer Milch als Labung in der Hitze des Tages. Klaus sprang ihr entgegen, er nahm ihr das schwere Geschirr aus der Rechten; wie sie aber mit der Linken nach dem Korbe griff, um ihn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022"/> Bauern setzte der Knecht in Gedanken sein Sprüchlein entgegen: „Selbst ist der Mann!“</p><lb/> <p>Aber Feuer und Liebe, wer kann die verbergen? Dem Alten ging, wie er sich ausdrückte, längst schon der Hund vor dem Licht um. Doch wer ehrlich ist, sucht Andere nicht hinter dem Ofen, daher traute er auch Klaus keine Schlechtigkeit zu. Es war im Juli beim Heuen. Was eine Hand regen konnte, führte die Sense, und in langen Schwaden trocknete das Gras an der glühenden Sonne. Die Arbeiter blickten oft nach dem Schatten eines Ahorns, ob er nicht von West nach Osten vorrücken und ihnen endlich die Raststunde zwischen Vor- und Nachmittag verkünden möchte. Das war ihre Uhr, denn vom Dorfe herauf hörte man keinen Glockenschlag. Laßt jetzt gut sein! rief endlich der alte Nidinger, und die Sensen sanken zu Boden. Die Mäher zogen sich unter das breite Laubdach des Baumes zurück, nur Klaus eilte auf die mäßige Höhe vor der Wiese, um auszuschauen, ob Walburg nicht bald das Essen bringe. Da stieg sie auf der Seite des Abhanges langsam empor, auf dem Kopf einen Korb mit einem weißen Tuche überdeckt, zwischen dem Weidengeflecht guckten die braunen Schmalznudeln durch, in der Hand trug sie eine zinnerne Flasche mit saurer Milch als Labung in der Hitze des Tages. Klaus sprang ihr entgegen, er nahm ihr das schwere Geschirr aus der Rechten; wie sie aber mit der Linken nach dem Korbe griff, um ihn<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Bauern setzte der Knecht in Gedanken sein Sprüchlein entgegen: „Selbst ist der Mann!“
Aber Feuer und Liebe, wer kann die verbergen? Dem Alten ging, wie er sich ausdrückte, längst schon der Hund vor dem Licht um. Doch wer ehrlich ist, sucht Andere nicht hinter dem Ofen, daher traute er auch Klaus keine Schlechtigkeit zu. Es war im Juli beim Heuen. Was eine Hand regen konnte, führte die Sense, und in langen Schwaden trocknete das Gras an der glühenden Sonne. Die Arbeiter blickten oft nach dem Schatten eines Ahorns, ob er nicht von West nach Osten vorrücken und ihnen endlich die Raststunde zwischen Vor- und Nachmittag verkünden möchte. Das war ihre Uhr, denn vom Dorfe herauf hörte man keinen Glockenschlag. Laßt jetzt gut sein! rief endlich der alte Nidinger, und die Sensen sanken zu Boden. Die Mäher zogen sich unter das breite Laubdach des Baumes zurück, nur Klaus eilte auf die mäßige Höhe vor der Wiese, um auszuschauen, ob Walburg nicht bald das Essen bringe. Da stieg sie auf der Seite des Abhanges langsam empor, auf dem Kopf einen Korb mit einem weißen Tuche überdeckt, zwischen dem Weidengeflecht guckten die braunen Schmalznudeln durch, in der Hand trug sie eine zinnerne Flasche mit saurer Milch als Labung in der Hitze des Tages. Klaus sprang ihr entgegen, er nahm ihr das schwere Geschirr aus der Rechten; wie sie aber mit der Linken nach dem Korbe griff, um ihn
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Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/22>, abgerufen am 16.07.2024. |