Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie's der Dichter nennt, der neulich über unsre Bretter schritt!
Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei,
Und so fällt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei;
Aber ruft den König jetzo!
Erste Hebamme.
Wohl! Ich eile schnell hinaus.
Zweite Hebamme.
Wendet ab dieß Omen, Götter! Wendet ab die Fledermaus!

Pallast in Corinth.
Zelinde, Diagoras.
Diagoras.
Dreißig Jahre sind vergangen und ich hab' umsonst gefleht,
Täglich, ob der Wind aus Westen, ob der Wind aus Osten weht,
Lag ich hier zu deinen Füßen, bat, beschwor dich, seufzte tief,
Ach, und gestern schrieb ich meinen millionten Liebesbrief!
Beide sind wir alt geworden, fünfzig ich und sechszig du:
Wann denn endlich wirfst du mir den ersten Blick der Liebe zu?
Zelinde.
Nie, Diagoras! Doch besser dünkt mich ein platon'scher Sinn,
Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.
Diagoras.
Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl
Ist ein Wüthrich, und du nahmst ihn nicht einmal aus freier
Wahl.
Zelinde.
Was er über mich verhänget, bin zu dulden ich bereit;
Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderlosigkeit.
Diagoras.
Hättest du Gehör mir früher eingeräumt, vielleicht --
Wie's der Dichter nennt, der neulich uͤber unſre Bretter ſchritt!
Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei,
Und ſo faͤllt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei;
Aber ruft den Koͤnig jetzo!
Erſte Hebamme.
Wohl! Ich eile ſchnell hinaus.
Zweite Hebamme.
Wendet ab dieß Omen, Goͤtter! Wendet ab die Fledermaus!

Pallaſt in Corinth.
Zelinde, Diagoras.
Diagoras.
Dreißig Jahre ſind vergangen und ich hab' umſonſt gefleht,
Taͤglich, ob der Wind aus Weſten, ob der Wind aus Oſten weht,
Lag ich hier zu deinen Fuͤßen, bat, beſchwor dich, ſeufzte tief,
Ach, und geſtern ſchrieb ich meinen millionten Liebesbrief!
Beide ſind wir alt geworden, fuͤnfzig ich und ſechszig du:
Wann denn endlich wirfſt du mir den erſten Blick der Liebe zu?
Zelinde.
Nie, Diagoras! Doch beſſer duͤnkt mich ein platon'ſcher Sinn,
Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.
Diagoras.
Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl
Iſt ein Wuͤthrich, und du nahmſt ihn nicht einmal aus freier
Wahl.
Zelinde.
Was er uͤber mich verhaͤnget, bin zu dulden ich bereit;
Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderloſigkeit.
Diagoras.
Haͤtteſt du Gehoͤr mir fruͤher eingeraͤumt, vielleicht —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#JOK">
            <p><pb facs="#f0027" n="21"/>
Wie's der Dichter nennt, der neulich u&#x0364;ber un&#x017F;re Bretter &#x017F;chritt!<lb/>
Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei,<lb/>
Und &#x017F;o fa&#x0364;llt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei;<lb/>
Aber ruft den Ko&#x0364;nig jetzo!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#HEB">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Hebamme</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Wohl! Ich eile &#x017F;chnell hinaus.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#HEB">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zweite Hebamme</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Wendet ab dieß Omen, Go&#x0364;tter! Wendet ab die Fledermaus!</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Palla&#x017F;t in Corinth</hi>.</hi> </stage><lb/><lb/>
            <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde, Diagoras</hi>.</hi> </stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#DIA">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Dreißig Jahre &#x017F;ind vergangen und ich hab' um&#x017F;on&#x017F;t gefleht,<lb/>
Ta&#x0364;glich, ob der Wind aus We&#x017F;ten, ob der Wind aus O&#x017F;ten weht,<lb/>
Lag ich hier zu deinen Fu&#x0364;ßen, bat, be&#x017F;chwor dich, &#x017F;eufzte tief,<lb/>
Ach, und ge&#x017F;tern &#x017F;chrieb ich meinen millionten Liebesbrief!<lb/>
Beide &#x017F;ind wir alt geworden, fu&#x0364;nfzig ich und &#x017F;echszig du:<lb/>
Wann denn endlich wirf&#x017F;t du mir den er&#x017F;ten Blick der Liebe zu?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ZEL">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Nie, Diagoras! Doch be&#x017F;&#x017F;er du&#x0364;nkt mich ein platon'&#x017F;cher Sinn,<lb/>
Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#DIA">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl<lb/>
I&#x017F;t ein Wu&#x0364;thrich, und du nahm&#x017F;t ihn nicht einmal aus freier<lb/>
Wahl.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ZEL">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Was er u&#x0364;ber mich verha&#x0364;nget, bin zu dulden ich bereit;<lb/>
Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderlo&#x017F;igkeit.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#DIA">
            <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ha&#x0364;tte&#x017F;t du Geho&#x0364;r mir fru&#x0364;her eingera&#x0364;umt, vielleicht &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0027] Wie's der Dichter nennt, der neulich uͤber unſre Bretter ſchritt! Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei, Und ſo faͤllt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei; Aber ruft den Koͤnig jetzo! Erſte Hebamme. Wohl! Ich eile ſchnell hinaus. Zweite Hebamme. Wendet ab dieß Omen, Goͤtter! Wendet ab die Fledermaus! Pallaſt in Corinth. Zelinde, Diagoras. Diagoras. Dreißig Jahre ſind vergangen und ich hab' umſonſt gefleht, Taͤglich, ob der Wind aus Weſten, ob der Wind aus Oſten weht, Lag ich hier zu deinen Fuͤßen, bat, beſchwor dich, ſeufzte tief, Ach, und geſtern ſchrieb ich meinen millionten Liebesbrief! Beide ſind wir alt geworden, fuͤnfzig ich und ſechszig du: Wann denn endlich wirfſt du mir den erſten Blick der Liebe zu? Zelinde. Nie, Diagoras! Doch beſſer duͤnkt mich ein platon'ſcher Sinn, Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin. Diagoras. Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl Iſt ein Wuͤthrich, und du nahmſt ihn nicht einmal aus freier Wahl. Zelinde. Was er uͤber mich verhaͤnget, bin zu dulden ich bereit; Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderloſigkeit. Diagoras. Haͤtteſt du Gehoͤr mir fruͤher eingeraͤumt, vielleicht —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/27
Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/27>, abgerufen am 23.11.2024.