Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Diagoras, Melchior mit Oedipus. Melchior. Du armes Kind! Auf diesem grünen Platze Blüht weiches Moos, hier will ich hin dich legen; Nie möge hier die wilde Tigerkatze Auffahrend schnauben ihrem Fang entgegen, Nie hier der Löwe strecken seine Tatze, Und nie die Natter sich im Kreis bewegen: Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze, Mag säugen dich und reichen dir die Zitze! Festbinden will ich dich an diesen Zweigen, Und wenn du sollst dein bittres Loos bezwingen, So werden Nymphen hier dem Bach entsteigen, Dir im Krystallglas einen Trunk zu bringen, Und Oreaden ihren wilden Reigen Bei Mondenschein in deiner Nähe schlingen, Dich rufen hören, finden dich und laben Mit süßen Früchten oder Honigwaben! Was aber such' ich lange nach Dämonen, Die ohne Mitleid in des Meeres Gründen, Auf unersteiglichen Gebürgen thronen, In Strömen baden, welche nie sich münden? Hier schläft ein Mensch: Was keine Götter schonen, Er schont's vielleicht zu Ehren seiner Sünden; Ihm überlass' ich fliehend dich, o Kleiner, Er finde, rette dich, und pflege deiner! (Er entfernt sich, Oedipus fängt an zu schreien.) Diagoras, Melchior mit Oedipus. Melchior. Du armes Kind! Auf dieſem gruͤnen Platze Bluͤht weiches Moos, hier will ich hin dich legen; Nie moͤge hier die wilde Tigerkatze Auffahrend ſchnauben ihrem Fang entgegen, Nie hier der Loͤwe ſtrecken ſeine Tatze, Und nie die Natter ſich im Kreis bewegen: Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze, Mag ſaͤugen dich und reichen dir die Zitze! Feſtbinden will ich dich an dieſen Zweigen, Und wenn du ſollſt dein bittres Loos bezwingen, So werden Nymphen hier dem Bach entſteigen, Dir im Kryſtallglas einen Trunk zu bringen, Und Oreaden ihren wilden Reigen Bei Mondenſchein in deiner Naͤhe ſchlingen, Dich rufen hoͤren, finden dich und laben Mit ſuͤßen Fruͤchten oder Honigwaben! Was aber ſuch' ich lange nach Daͤmonen, Die ohne Mitleid in des Meeres Gruͤnden, Auf unerſteiglichen Gebuͤrgen thronen, In Stroͤmen baden, welche nie ſich muͤnden? Hier ſchlaͤft ein Menſch: Was keine Goͤtter ſchonen, Er ſchont's vielleicht zu Ehren ſeiner Suͤnden; Ihm uͤberlaſſ' ich fliehend dich, o Kleiner, Er finde, rette dich, und pflege deiner! (Er entfernt ſich, Oedipus faͤngt an zu ſchreien.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#DIA"> <pb facs="#f0037" n="31"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras, Melchior</hi> mit <hi rendition="#g">Oedipus</hi>.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Du armes Kind! Auf dieſem gruͤnen Platze<lb/> Bluͤht weiches Moos, hier will ich hin dich legen;<lb/> Nie moͤge hier die wilde Tigerkatze<lb/> Auffahrend ſchnauben ihrem Fang entgegen,<lb/> Nie hier der Loͤwe ſtrecken ſeine Tatze,<lb/> Und nie die Natter ſich im Kreis bewegen:<lb/> Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze,<lb/> Mag ſaͤugen dich und reichen dir die Zitze!</p><lb/> <p>Feſtbinden will ich dich an dieſen Zweigen,<lb/> Und wenn du ſollſt dein bittres Loos bezwingen,<lb/> So werden Nymphen hier dem Bach entſteigen,<lb/> Dir im Kryſtallglas einen Trunk zu bringen,<lb/> Und Oreaden ihren wilden Reigen<lb/> Bei Mondenſchein in deiner Naͤhe ſchlingen,<lb/> Dich rufen hoͤren, finden dich und laben<lb/> Mit ſuͤßen Fruͤchten oder Honigwaben!</p><lb/> <p>Was aber ſuch' ich lange nach Daͤmonen,<lb/> Die ohne Mitleid in des Meeres Gruͤnden,<lb/> Auf unerſteiglichen Gebuͤrgen thronen,<lb/> In Stroͤmen baden, welche nie ſich muͤnden?<lb/> Hier ſchlaͤft ein Menſch: Was keine Goͤtter ſchonen,<lb/> Er ſchont's vielleicht zu Ehren ſeiner Suͤnden;<lb/> Ihm uͤberlaſſ' ich fliehend dich, o Kleiner,<lb/> Er finde, rette dich, und pflege deiner!</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(Er entfernt ſich, <hi rendition="#g">Oedipus</hi> faͤngt an zu ſchreien.)</hi> </stage> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0037]
Diagoras, Melchior mit Oedipus.
Melchior.
Du armes Kind! Auf dieſem gruͤnen Platze
Bluͤht weiches Moos, hier will ich hin dich legen;
Nie moͤge hier die wilde Tigerkatze
Auffahrend ſchnauben ihrem Fang entgegen,
Nie hier der Loͤwe ſtrecken ſeine Tatze,
Und nie die Natter ſich im Kreis bewegen:
Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze,
Mag ſaͤugen dich und reichen dir die Zitze!
Feſtbinden will ich dich an dieſen Zweigen,
Und wenn du ſollſt dein bittres Loos bezwingen,
So werden Nymphen hier dem Bach entſteigen,
Dir im Kryſtallglas einen Trunk zu bringen,
Und Oreaden ihren wilden Reigen
Bei Mondenſchein in deiner Naͤhe ſchlingen,
Dich rufen hoͤren, finden dich und laben
Mit ſuͤßen Fruͤchten oder Honigwaben!
Was aber ſuch' ich lange nach Daͤmonen,
Die ohne Mitleid in des Meeres Gruͤnden,
Auf unerſteiglichen Gebuͤrgen thronen,
In Stroͤmen baden, welche nie ſich muͤnden?
Hier ſchlaͤft ein Menſch: Was keine Goͤtter ſchonen,
Er ſchont's vielleicht zu Ehren ſeiner Suͤnden;
Ihm uͤberlaſſ' ich fliehend dich, o Kleiner,
Er finde, rette dich, und pflege deiner!
(Er entfernt ſich, Oedipus faͤngt an zu ſchreien.)
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