Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Zelinde. Wenn du so verfährst, so scheuchst du nächstens alle Menschen fort. (Ab.) Oedipus. Will es Diese nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an, Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh- gethan. (Ab.) Platz vor dem Tempel in Delphi. Die Pythia (allein.) Dem Gotte klag' ich, der mich hält gebunden An diesen Dreifuß, meine Leiden alle, Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden: Zwar ist sie herrlich, diese Tempelhalle, Die Säulen schlank, das Thor in Erz gegossen, Und auf dem Dache selbst erglühn Metalle; Doch hab' ich Glück und Freude hier genossen? Hat je gedankt mir ein beredter Frager, Dem ich der Zukunft Himmel aufgeschlossen? Da grau vor Alter ich und bleich und hager, Wie könnt' ich kosten je das Blut der Rebe? Wie könnt' ich ruhn auf einem weichen Lager? Die Rosen bilden überall Gewebe, Und Liebe schläft an jedes Baches Borden, Ich aber kenne nur den Gott und bebe! Da silberweiß mir jedes Haar geworden, Was frommt's, wenn mein Orakelspruch erklinget Unwiderstehlich wie ein Sturm im Norden? Zelinde. Wenn du ſo verfaͤhrſt, ſo ſcheuchſt du naͤchſtens alle Menſchen fort. (Ab.) Oedipus. Will es Dieſe nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an, Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh- gethan. (Ab.) Platz vor dem Tempel in Delphi. Die Pythia (allein.) Dem Gotte klag' ich, der mich haͤlt gebunden An dieſen Dreifuß, meine Leiden alle, Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden: Zwar iſt ſie herrlich, dieſe Tempelhalle, Die Saͤulen ſchlank, das Thor in Erz gegoſſen, Und auf dem Dache ſelbſt ergluͤhn Metalle; Doch hab' ich Gluͤck und Freude hier genoſſen? Hat je gedankt mir ein beredter Frager, Dem ich der Zukunft Himmel aufgeſchloſſen? Da grau vor Alter ich und bleich und hager, Wie koͤnnt' ich koſten je das Blut der Rebe? Wie koͤnnt' ich ruhn auf einem weichen Lager? Die Roſen bilden uͤberall Gewebe, Und Liebe ſchlaͤft an jedes Baches Borden, Ich aber kenne nur den Gott und bebe! Da ſilberweiß mir jedes Haar geworden, Was frommt's, wenn mein Orakelſpruch erklinget Unwiderſtehlich wie ein Sturm im Norden? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0049" n="43"/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Wenn du ſo verfaͤhrſt, ſo ſcheuchſt du naͤchſtens alle Menſchen<lb/> fort.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#right">(Ab.)</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#OED"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oedipus</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Will es Dieſe nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an,<lb/> Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh-<lb/> gethan.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#right">(Ab.)</hi> </stage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Platz vor dem Tempel in Delphi</hi>.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#PYTH"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die Pythia</hi> </hi> </speaker> <stage> <hi rendition="#c">(allein.)</hi> </stage><lb/> <p>Dem Gotte klag' ich, der mich haͤlt gebunden<lb/> An dieſen Dreifuß, meine Leiden alle,<lb/> Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden:</p><lb/> <p>Zwar iſt ſie herrlich, dieſe Tempelhalle,<lb/> Die Saͤulen ſchlank, das Thor in Erz gegoſſen,<lb/> Und auf dem Dache ſelbſt ergluͤhn Metalle;</p><lb/> <p>Doch hab' ich Gluͤck und Freude hier genoſſen?<lb/> Hat je gedankt mir ein beredter Frager,<lb/> Dem ich der Zukunft Himmel aufgeſchloſſen?</p><lb/> <p>Da grau vor Alter ich und bleich und hager,<lb/> Wie koͤnnt' ich koſten je das Blut der Rebe?<lb/> Wie koͤnnt' ich ruhn auf einem weichen Lager?</p><lb/> <p>Die Roſen bilden uͤberall Gewebe,<lb/> Und Liebe ſchlaͤft an jedes Baches Borden,<lb/> Ich aber kenne nur den Gott und bebe!</p><lb/> <p>Da ſilberweiß mir jedes Haar geworden,<lb/> Was frommt's, wenn mein Orakelſpruch erklinget<lb/> Unwiderſtehlich wie ein Sturm im Norden?</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0049]
Zelinde.
Wenn du ſo verfaͤhrſt, ſo ſcheuchſt du naͤchſtens alle Menſchen
fort.
(Ab.)
Oedipus.
Will es Dieſe nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an,
Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh-
gethan.
(Ab.)
Platz vor dem Tempel in Delphi.
Die Pythia (allein.)
Dem Gotte klag' ich, der mich haͤlt gebunden
An dieſen Dreifuß, meine Leiden alle,
Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden:
Zwar iſt ſie herrlich, dieſe Tempelhalle,
Die Saͤulen ſchlank, das Thor in Erz gegoſſen,
Und auf dem Dache ſelbſt ergluͤhn Metalle;
Doch hab' ich Gluͤck und Freude hier genoſſen?
Hat je gedankt mir ein beredter Frager,
Dem ich der Zukunft Himmel aufgeſchloſſen?
Da grau vor Alter ich und bleich und hager,
Wie koͤnnt' ich koſten je das Blut der Rebe?
Wie koͤnnt' ich ruhn auf einem weichen Lager?
Die Roſen bilden uͤberall Gewebe,
Und Liebe ſchlaͤft an jedes Baches Borden,
Ich aber kenne nur den Gott und bebe!
Da ſilberweiß mir jedes Haar geworden,
Was frommt's, wenn mein Orakelſpruch erklinget
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