Oedipus. Ich schaudre wechselnd vor mir selbst und staune, Als ob wir Alle bloße Träume wären: Da doch der Mensch nur ein Geschöpf der Laune, So sollten Weiber lieber nicht gebären! Wo ist des Ruhms allmächtige Posaune, Die meinen Namen mitgetheilt den Sphären? Wo sind die Harfen, welche siebentönig Mich einst gepriesen als den größten König? Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken Und stürzen sah; doch ich bestand die Proben, Und das, was Vielen ward zu Dornenranken, Hab' ich zum Rosendiadem verwoben; Und während tausend Nachen u[nter]sanken, Ward ich vom leichten Element gehoben, Durchschwamm die Fluthen mit behender Schnelle, Und mich umtanzte voll Musik die Welle! Ich ging ein Jüngling, ungekannt von Allen Wohin, so wähnt' ich, mich die Pythia schickte, Und ließ die Her[r]scherworte kaum erschallen, Als jedes Haupt sich beugte mir und nickte; Doch war ich schon dem Untergang verfallen, Eh' ich den Glanz der Sonne noch erblickte, Und was ein Gott mir statt des Seins gegeben, Ein Zweifel war es zwischen Tod und Leben. Nun aber weiß ich, wem ich angehöre, Als Kind zum Raube schon bestimmt den Thieren: Es sagen mir's die stummen Trauerflöre, Die diesen Sarg zu meinen Füßen zieren,
Oedipus. Ich ſchaudre wechſelnd vor mir ſelbſt und ſtaune, Als ob wir Alle bloße Traͤume waͤren: Da doch der Menſch nur ein Geſchoͤpf der Laune, So ſollten Weiber lieber nicht gebaͤren! Wo iſt des Ruhms allmaͤchtige Poſaune, Die meinen Namen mitgetheilt den Sphaͤren? Wo ſind die Harfen, welche ſiebentoͤnig Mich einſt geprieſen als den groͤßten Koͤnig? Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken Und ſtuͤrzen ſah; doch ich beſtand die Proben, Und das, was Vielen ward zu Dornenranken, Hab' ich zum Roſendiadem verwoben; Und waͤhrend tauſend Nachen u[nter]ſanken, Ward ich vom leichten Element gehoben, Durchſchwamm die Fluthen mit behender Schnelle, Und mich umtanzte voll Muſik die Welle! Ich ging ein Juͤngling, ungekannt von Allen Wohin, ſo waͤhnt' ich, mich die Pythia ſchickte, Und ließ die Her[r]ſcherworte kaum erſchallen, Als jedes Haupt ſich beugte mir und nickte; Doch war ich ſchon dem Untergang verfallen, Eh' ich den Glanz der Sonne noch erblickte, Und was ein Gott mir ſtatt des Seins gegeben, Ein Zweifel war es zwiſchen Tod und Leben. Nun aber weiß ich, wem ich angehoͤre, Als Kind zum Raube ſchon beſtimmt den Thieren: Es ſagen mir's die ſtummen Trauerfloͤre, Die dieſen Sarg zu meinen Fuͤßen zieren,
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Oedipus.
Ich ſchaudre wechſelnd vor mir ſelbſt und ſtaune,
Als ob wir Alle bloße Traͤume waͤren:
Da doch der Menſch nur ein Geſchoͤpf der Laune,
So ſollten Weiber lieber nicht gebaͤren!
Wo iſt des Ruhms allmaͤchtige Poſaune,
Die meinen Namen mitgetheilt den Sphaͤren?
Wo ſind die Harfen, welche ſiebentoͤnig
Mich einſt geprieſen als den groͤßten Koͤnig?
Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken
Und ſtuͤrzen ſah; doch ich beſtand die Proben,
Und das, was Vielen ward zu Dornenranken,
Hab' ich zum Roſendiadem verwoben;
Und waͤhrend tauſend Nachen unterſanken,
Ward ich vom leichten Element gehoben,
Durchſchwamm die Fluthen mit behender Schnelle,
Und mich umtanzte voll Muſik die Welle!
Ich ging ein Juͤngling, ungekannt von Allen
Wohin, ſo waͤhnt' ich, mich die Pythia ſchickte,
Und ließ die Herrſcherworte kaum erſchallen,
Als jedes Haupt ſich beugte mir und nickte;
Doch war ich ſchon dem Untergang verfallen,
Eh' ich den Glanz der Sonne noch erblickte,
Und was ein Gott mir ſtatt des Seins gegeben,
Ein Zweifel war es zwiſchen Tod und Leben.
Nun aber weiß ich, wem ich angehoͤre,
Als Kind zum Raube ſchon beſtimmt den Thieren:
Es ſagen mir's die ſtummen Trauerfloͤre,
Die dieſen Sarg zu meinen Fuͤßen zieren,
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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/85>, abgerufen am 11.02.2025.
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