Gegenüber diesem utopischen Bilde, über dessen Ver- hältniss zu den humanitär-socialistischen Idealen wir uns im nächsten Capitel noch weiter auslassen wollen, wollen wir nun in kurzen Grundlinien das Bild skizziren, das unsere heutige Gesellschaft darbietet.*)
Was die sexuelle Auslese und die Rücksicht auf die Erzeugung guter Devarianten anlangt, so hat schon Darwin die heutigen Verhältnisse als erbärmlich genug hingestellt. Am Ende des zweiten Theils seiner "Abstammung des Menschen" lässt er sich folgendermaassen darüber aus: "Der Mensch prüft mit scrupulöser Sorgfalt den Charakter und den Stammbaum seiner Pferde, Rinder und Hunde, ehe er sie paart. Wenn es aber zu seiner eigenen Heirath kommt, nimmt er sich selten oder niemals solche Mühe. Er wird nahezu durch dieselben Motive wie die niederen Thiere, wenn sie ihrer eigenen freien Wahl überlassen sind, angetrieben, obgleich er insoweit ihnen überlegen ist, dass er geistige Reize und Tugenden hochschätzt. Andrerseits wird er durch blosse Wohlhabenheit oder durch Rang stark angezogen ... Wenn die Principien der Züchtung und der Vererbung besser verstanden werden, werden wir nicht unwissende Glieder unserer gesetzgebenden Körper- schaften verächtlich einen Plan zur Ermittelung der Frage zurückweisen hören, ob blutsverwandte Heirathen für den Menschen schädlich sind oder nicht."
Irgend eine Beschränkung des niedrigst zulässigen Heirathsalters in annehmbarer Weise haben wir in keinem Culturstaat, überall ist es zu früh angesetzt, in manchen Ländern auf 16, bezw. 14, ja 12 Jahre. Auch die öffent- Meinung ist viel zu stumpf in diesem Punkt.
In Thüringen, Oldenburg und Braunschweig, deren Statistik Material dafür liefert, wurden im Durchschnitt der
*) Vgl. Schäffle, A. Bau und Leben des socialen Körpers. 4 Bde. Tübingen. 1881.
Der heutige Rassenprocess.
Gegenüber diesem utopischen Bilde, über dessen Ver- hältniss zu den humanitär-socialistischen Idealen wir uns im nächsten Capitel noch weiter auslassen wollen, wollen wir nun in kurzen Grundlinien das Bild skizziren, das unsere heutige Gesellschaft darbietet.*)
Was die sexuelle Auslese und die Rücksicht auf die Erzeugung guter Devarianten anlangt, so hat schon Darwin die heutigen Verhältnisse als erbärmlich genug hingestellt. Am Ende des zweiten Theils seiner „Abstammung des Menschen“ lässt er sich folgendermaassen darüber aus: „Der Mensch prüft mit scrupulöser Sorgfalt den Charakter und den Stammbaum seiner Pferde, Rinder und Hunde, ehe er sie paart. Wenn es aber zu seiner eigenen Heirath kommt, nimmt er sich selten oder niemals solche Mühe. Er wird nahezu durch dieselben Motive wie die niederen Thiere, wenn sie ihrer eigenen freien Wahl überlassen sind, angetrieben, obgleich er insoweit ihnen überlegen ist, dass er geistige Reize und Tugenden hochschätzt. Andrerseits wird er durch blosse Wohlhabenheit oder durch Rang stark angezogen … Wenn die Principien der Züchtung und der Vererbung besser verstanden werden, werden wir nicht unwissende Glieder unserer gesetzgebenden Körper- schaften verächtlich einen Plan zur Ermittelung der Frage zurückweisen hören, ob blutsverwandte Heirathen für den Menschen schädlich sind oder nicht.“
Irgend eine Beschränkung des niedrigst zulässigen Heirathsalters in annehmbarer Weise haben wir in keinem Culturstaat, überall ist es zu früh angesetzt, in manchen Ländern auf 16, bezw. 14, ja 12 Jahre. Auch die öffent- Meinung ist viel zu stumpf in diesem Punkt.
In Thüringen, Oldenburg und Braunschweig, deren Statistik Material dafür liefert, wurden im Durchschnitt der
*) Vgl. Schäffle, A. Bau und Leben des socialen Körpers. 4 Bde. Tübingen. 1881.
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Der heutige Rassenprocess.
Gegenüber diesem utopischen Bilde, über dessen Ver-
hältniss zu den humanitär-socialistischen Idealen wir uns
im nächsten Capitel noch weiter auslassen wollen, wollen
wir nun in kurzen Grundlinien das Bild skizziren, das unsere
heutige Gesellschaft darbietet. *)
Was die sexuelle Auslese und die Rücksicht auf die
Erzeugung guter Devarianten anlangt, so hat schon Darwin
die heutigen Verhältnisse als erbärmlich genug hingestellt.
Am Ende des zweiten Theils seiner „Abstammung des
Menschen“ lässt er sich folgendermaassen darüber aus:
„Der Mensch prüft mit scrupulöser Sorgfalt den Charakter
und den Stammbaum seiner Pferde, Rinder und Hunde,
ehe er sie paart. Wenn es aber zu seiner eigenen Heirath
kommt, nimmt er sich selten oder niemals solche Mühe.
Er wird nahezu durch dieselben Motive wie die niederen
Thiere, wenn sie ihrer eigenen freien Wahl überlassen sind,
angetrieben, obgleich er insoweit ihnen überlegen ist, dass
er geistige Reize und Tugenden hochschätzt. Andrerseits
wird er durch blosse Wohlhabenheit oder durch Rang
stark angezogen … Wenn die Principien der Züchtung
und der Vererbung besser verstanden werden, werden wir
nicht unwissende Glieder unserer gesetzgebenden Körper-
schaften verächtlich einen Plan zur Ermittelung der Frage
zurückweisen hören, ob blutsverwandte Heirathen für den
Menschen schädlich sind oder nicht.“
Irgend eine Beschränkung des niedrigst zulässigen
Heirathsalters in annehmbarer Weise haben wir in keinem
Culturstaat, überall ist es zu früh angesetzt, in manchen
Ländern auf 16, bezw. 14, ja 12 Jahre. Auch die öffent-
Meinung ist viel zu stumpf in diesem Punkt.
In Thüringen, Oldenburg und Braunschweig, deren
Statistik Material dafür liefert, wurden im Durchschnitt der
*) Vgl. Schäffle, A. Bau und Leben des socialen Körpers.
4 Bde. Tübingen. 1881.
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Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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