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Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895.

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ganze Menge selectorischer Momente mitspielen. Der Mann
konnte unter Alkoholwirkung gestanden haben, konnte
kränklich sein, konnte eine angeborene Langsamkeit der
Auffassung und Bewegung haben; vor allem konnte er aus
selectorischen Gründen arm geworden sein, so dass er
sich dadurch überhaupt erst um einen so gefährlichen
Posten bewerben musste, u. s. w. Alle diese Momente ent-
halten etwas Selectorisches. Andrerseits konnte er durch
Überanstrengung im Dienst müde und unaufmerksam ge-
worden sein; dann gebührte der grösste Antheil an dem
Unfall einem nonselectorischen Factor, nämlich dem Aus-
beutungs-Bestreben der Bahnverwaltung.

Unfälle und ähnliche z. Th. nicht wählende Schädlich-
keiten sind nun zwar keineswegs so selten wie man gemein-
hin glaubt. So starben in den Jahren 1890--92 in unseren
Städten mit über 15000 Einwohnern etwa 15 %0 aller Ge-
storbenen durch Verunglückung und Todtschlag, ungefähr
ebenso viel wie an Unterleibstyphus und Scharlach zu-
sammengenommen. *) Allein das bildet noch keine besonders
grosse Belastung für den Rassenprocess.

Dies kann man aber nicht so ohne Weiteres von
einer anderen, höchst wahrscheinlich zum grössten Theil
nonselectorischen Schädlichkeit, von unseren Trinksitten,
behaupten. Es ist eine der schwierigsten und doch der
Lösung dringend bedürftige Frage, ob der unmässige
Alkoholgenuss bei den Culturvölkern, besonders den nörd-
lichen, ein überwiegend selectorischer Factor ist, der
genügend Individuen so intact lässt, dass die Continuität
des gesunden Rassenprocesses gewahrt bleibt, oder ob er
überwiegend eine nonselectorische Schädlichkeit darstellt,
die Jeden ohne Rücksicht auf seine Kraft treffen und
beeinträchtigen kann, und dabei so viele wirklich trifft,

*) Statist. Jahrbuch f. das Deutsche Reich. 15. Jahrg. Berlin
1894. S. 147.

ganze Menge selectorischer Momente mitspielen. Der Mann
konnte unter Alkoholwirkung gestanden haben, konnte
kränklich sein, konnte eine angeborene Langsamkeit der
Auffassung und Bewegung haben; vor allem konnte er aus
selectorischen Gründen arm geworden sein, so dass er
sich dadurch überhaupt erst um einen so gefährlichen
Posten bewerben musste, u. s. w. Alle diese Momente ent-
halten etwas Selectorisches. Andrerseits konnte er durch
Überanstrengung im Dienst müde und unaufmerksam ge-
worden sein; dann gebührte der grösste Antheil an dem
Unfall einem nonselectorischen Factor, nämlich dem Aus-
beutungs-Bestreben der Bahnverwaltung.

Unfälle und ähnliche z. Th. nicht wählende Schädlich-
keiten sind nun zwar keineswegs so selten wie man gemein-
hin glaubt. So starben in den Jahren 1890—92 in unseren
Städten mit über 15000 Einwohnern etwa 15 ‰ aller Ge-
storbenen durch Verunglückung und Todtschlag, ungefähr
ebenso viel wie an Unterleibstyphus und Scharlach zu-
sammengenommen. *) Allein das bildet noch keine besonders
grosse Belastung für den Rassenprocess.

Dies kann man aber nicht so ohne Weiteres von
einer anderen, höchst wahrscheinlich zum grössten Theil
nonselectorischen Schädlichkeit, von unseren Trinksitten,
behaupten. Es ist eine der schwierigsten und doch der
Lösung dringend bedürftige Frage, ob der unmässige
Alkoholgenuss bei den Culturvölkern, besonders den nörd-
lichen, ein überwiegend selectorischer Factor ist, der
genügend Individuen so intact lässt, dass die Continuität
des gesunden Rassenprocesses gewahrt bleibt, oder ob er
überwiegend eine nonselectorische Schädlichkeit darstellt,
die Jeden ohne Rücksicht auf seine Kraft treffen und
beeinträchtigen kann, und dabei so viele wirklich trifft,

*) Statist. Jahrbuch f. das Deutsche Reich. 15. Jahrg. Berlin
1894. S. 147.
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[189/0209] ganze Menge selectorischer Momente mitspielen. Der Mann konnte unter Alkoholwirkung gestanden haben, konnte kränklich sein, konnte eine angeborene Langsamkeit der Auffassung und Bewegung haben; vor allem konnte er aus selectorischen Gründen arm geworden sein, so dass er sich dadurch überhaupt erst um einen so gefährlichen Posten bewerben musste, u. s. w. Alle diese Momente ent- halten etwas Selectorisches. Andrerseits konnte er durch Überanstrengung im Dienst müde und unaufmerksam ge- worden sein; dann gebührte der grösste Antheil an dem Unfall einem nonselectorischen Factor, nämlich dem Aus- beutungs-Bestreben der Bahnverwaltung. Unfälle und ähnliche z. Th. nicht wählende Schädlich- keiten sind nun zwar keineswegs so selten wie man gemein- hin glaubt. So starben in den Jahren 1890—92 in unseren Städten mit über 15000 Einwohnern etwa 15 ‰ aller Ge- storbenen durch Verunglückung und Todtschlag, ungefähr ebenso viel wie an Unterleibstyphus und Scharlach zu- sammengenommen. *) Allein das bildet noch keine besonders grosse Belastung für den Rassenprocess. Dies kann man aber nicht so ohne Weiteres von einer anderen, höchst wahrscheinlich zum grössten Theil nonselectorischen Schädlichkeit, von unseren Trinksitten, behaupten. Es ist eine der schwierigsten und doch der Lösung dringend bedürftige Frage, ob der unmässige Alkoholgenuss bei den Culturvölkern, besonders den nörd- lichen, ein überwiegend selectorischer Factor ist, der genügend Individuen so intact lässt, dass die Continuität des gesunden Rassenprocesses gewahrt bleibt, oder ob er überwiegend eine nonselectorische Schädlichkeit darstellt, die Jeden ohne Rücksicht auf seine Kraft treffen und beeinträchtigen kann, und dabei so viele wirklich trifft, *) Statist. Jahrbuch f. das Deutsche Reich. 15. Jahrg. Berlin 1894. S. 147.

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Zitationshilfe: Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/209>, abgerufen am 21.11.2024.