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Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895.

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Die Gründe, welche angeführt werden, um eine Ab-
nahme der Zeugungskraft plausibel zu machen, sind zum
grossen Theil wenig stichhaltig. Man liest manchmal die
Behauptung, die hohe materielle Cultur und die fortge-
schrittene Civilisation Frankreichs wären Schuld. Allein an-
dere Länder sind ebenso reich und civilisirt und nehmen
doch rasch zu, z. B. England und Deutschland, das zwar
nicht ebenso reich, doch ebenso civilisirt ist. Dazu kommt,
dass Reichthum und hohe Civilisation nur bei einer kleinen
Minderheit eine Rolle spielen, die grosse Volksmasse
ist davon ausgeschlossen. Der französische Arbeiter ist
immer noch unfruchtbarer als der deutsche Kleinbürger.

Lapouge sucht den Grund in einer Abnahme der
blonden Langköpfe und einer Zunahme der brünetten Kurz-
köpfe, die unfruchtbarer seien als die ersteren. Doch das-
selbe müsste dann für andere Länder mit vielen dunklen
Rundköpfen der Fall sein, wie mit Italien z. B., und doch
brachte dieses von 1872 -- 1883 die stattliche Fruchtbarkeit
von 4,56 Geburten auf eine Eheschliessung zu Wege.

Zur Entscheidung der Frage, ob eine Schwächung
der Zeugungskraft mitwirkt, scheint mir noch am ehesten
ein Blick auf das Verhalten der durchschnittlichen Consti-
tutionskraft geeignet.

Wenn sich ergiebt, dass der Durchschnittsfranzose im
Lauf des Jahrhunderts einer langsamen körperlichen Ent-
artung anheimgefallen ist, so ist die Annahme durchaus
berechtigt, dass auch die Fortpflanzungskraft an dieser Ent-
artung Theil genommen hat, weil sie in gewissen Correla-
tionen zur Erhaltungskraft steht. So unmöglich erscheint
die Entartung nicht, wenn man bedenkt, wie häufig die
junge Blüthe der Nation zum Kriegsdienst herangezogen
wurde. Allein vom 24. Juni 1791 bis zum 15. Novem-
ber 1813 wurden 4556000 Mann unter die Fahnen gerufen,
von denen wenigstens die Hälfte im Feuer und in den
Hospitälern blieb, während der andere Theil erschöpft und

Die Gründe, welche angeführt werden, um eine Ab-
nahme der Zeugungskraft plausibel zu machen, sind zum
grossen Theil wenig stichhaltig. Man liest manchmal die
Behauptung, die hohe materielle Cultur und die fortge-
schrittene Civilisation Frankreichs wären Schuld. Allein an-
dere Länder sind ebenso reich und civilisirt und nehmen
doch rasch zu, z. B. England und Deutschland, das zwar
nicht ebenso reich, doch ebenso civilisirt ist. Dazu kommt,
dass Reichthum und hohe Civilisation nur bei einer kleinen
Minderheit eine Rolle spielen, die grosse Volksmasse
ist davon ausgeschlossen. Der französische Arbeiter ist
immer noch unfruchtbarer als der deutsche Kleinbürger.

Lapouge sucht den Grund in einer Abnahme der
blonden Langköpfe und einer Zunahme der brünetten Kurz-
köpfe, die unfruchtbarer seien als die ersteren. Doch das-
selbe müsste dann für andere Länder mit vielen dunklen
Rundköpfen der Fall sein, wie mit Italien z. B., und doch
brachte dieses von 1872 — 1883 die stattliche Fruchtbarkeit
von 4,56 Geburten auf eine Eheschliessung zu Wege.

Zur Entscheidung der Frage, ob eine Schwächung
der Zeugungskraft mitwirkt, scheint mir noch am ehesten
ein Blick auf das Verhalten der durchschnittlichen Consti-
tutionskraft geeignet.

Wenn sich ergiebt, dass der Durchschnittsfranzose im
Lauf des Jahrhunderts einer langsamen körperlichen Ent-
artung anheimgefallen ist, so ist die Annahme durchaus
berechtigt, dass auch die Fortpflanzungskraft an dieser Ent-
artung Theil genommen hat, weil sie in gewissen Correla-
tionen zur Erhaltungskraft steht. So unmöglich erscheint
die Entartung nicht, wenn man bedenkt, wie häufig die
junge Blüthe der Nation zum Kriegsdienst herangezogen
wurde. Allein vom 24. Juni 1791 bis zum 15. Novem-
ber 1813 wurden 4556000 Mann unter die Fahnen gerufen,
von denen wenigstens die Hälfte im Feuer und in den
Hospitälern blieb, während der andere Theil erschöpft und

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[69/0089] Die Gründe, welche angeführt werden, um eine Ab- nahme der Zeugungskraft plausibel zu machen, sind zum grossen Theil wenig stichhaltig. Man liest manchmal die Behauptung, die hohe materielle Cultur und die fortge- schrittene Civilisation Frankreichs wären Schuld. Allein an- dere Länder sind ebenso reich und civilisirt und nehmen doch rasch zu, z. B. England und Deutschland, das zwar nicht ebenso reich, doch ebenso civilisirt ist. Dazu kommt, dass Reichthum und hohe Civilisation nur bei einer kleinen Minderheit eine Rolle spielen, die grosse Volksmasse ist davon ausgeschlossen. Der französische Arbeiter ist immer noch unfruchtbarer als der deutsche Kleinbürger. Lapouge sucht den Grund in einer Abnahme der blonden Langköpfe und einer Zunahme der brünetten Kurz- köpfe, die unfruchtbarer seien als die ersteren. Doch das- selbe müsste dann für andere Länder mit vielen dunklen Rundköpfen der Fall sein, wie mit Italien z. B., und doch brachte dieses von 1872 — 1883 die stattliche Fruchtbarkeit von 4,56 Geburten auf eine Eheschliessung zu Wege. Zur Entscheidung der Frage, ob eine Schwächung der Zeugungskraft mitwirkt, scheint mir noch am ehesten ein Blick auf das Verhalten der durchschnittlichen Consti- tutionskraft geeignet. Wenn sich ergiebt, dass der Durchschnittsfranzose im Lauf des Jahrhunderts einer langsamen körperlichen Ent- artung anheimgefallen ist, so ist die Annahme durchaus berechtigt, dass auch die Fortpflanzungskraft an dieser Ent- artung Theil genommen hat, weil sie in gewissen Correla- tionen zur Erhaltungskraft steht. So unmöglich erscheint die Entartung nicht, wenn man bedenkt, wie häufig die junge Blüthe der Nation zum Kriegsdienst herangezogen wurde. Allein vom 24. Juni 1791 bis zum 15. Novem- ber 1813 wurden 4556000 Mann unter die Fahnen gerufen, von denen wenigstens die Hälfte im Feuer und in den Hospitälern blieb, während der andere Theil erschöpft und

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Zitationshilfe: Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/89>, abgerufen am 24.11.2024.