Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_240.001 Wenn sie das Heiligthum der Nacht vor dir entfaltet; ppo_240.002
Und weihend steigt ein Genius herab, ppo_240.003 An deine Hoheit dich zu mahnen, ppo_240.004 Zu der du feierlich berufen bist. ppo_240.005 Unendlichkeit kann nur das Wesen ahnen, ppo_240.006 Das zur Unendlichkeit erkohren ist. ppo_240.007 Wie? oder ist es eines Traumgesichtes ppo_240.008 Verirrung nur, die uns ein hell'res Seyn verspricht? ppo_240.009 Jst dieser Drang nach höherm Licht ppo_240.010 Nicht Weissagung des höhern Lichtes? ppo_240.011 Dann sprich, warum, warum ward uns der Drang verliehn, ppo_240.012 Der tiefe Wahrheitssinn, der feierlich und kühn, ppo_240.013 Wie ein erhabner Seher, zu den Räumen ppo_240.014 Der Unermeßlichkeit hinüber reißt? ppo_240.015 Woher der immer rege Geist, ppo_240.016 So über sich hinaus zu träumen, ppo_240.017 Um dort zu fordern, was ihm hier gebricht? -- ppo_240.018 Aus Licht ist er zum Licht gebohren; ppo_240.019 Zu einem höhern Loos' erkohren, ppo_240.020 Jst seine Heimath hier auf Erden nicht. ppo_240.021 Hier ist der Vorsabbath der lichten Sonnenfeier; ppo_240.022 Die Morgenstunde, die den Späher weckt, ppo_240.023 Hinauf zu schauen zu dem Schleier, ppo_240.024 Der uns das Heiligthum versteckt. ppo_240.025 Und sieh! des Dulders finstern Horizont ppo_240.026 Umzittert, wie ein rother Morgenschimmer, ppo_240.027 Ein stilles Leuchten, das die Trümmer ppo_240.028 Des Lebens freundlich übersonnt. ppo_240.029 Der Wolkenvorhang war hinweggezogen; ppo_240.030 Wie eine junge blühende Natur ppo_240.031 Umarmte sanft ein schöner Friedensbogen ppo_240.032 Die Stille seiner Lebensflur; ppo_240.033 Da war's, als spräch' ein Geist zu ihm die Worte: ppo_240.034 "Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht! ppo_240.001 Wenn sie das Heiligthum der Nacht vor dir entfaltet; ppo_240.002
Und weihend steigt ein Genius herab, ppo_240.003 An deine Hoheit dich zu mahnen, ppo_240.004 Zu der du feierlich berufen bist. ppo_240.005 Unendlichkeit kann nur das Wesen ahnen, ppo_240.006 Das zur Unendlichkeit erkohren ist. ppo_240.007 Wie? oder ist es eines Traumgesichtes ppo_240.008 Verirrung nur, die uns ein hell'res Seyn verspricht? ppo_240.009 Jst dieser Drang nach höherm Licht ppo_240.010 Nicht Weissagung des höhern Lichtes? ppo_240.011 Dann sprich, warum, warum ward uns der Drang verliehn, ppo_240.012 Der tiefe Wahrheitssinn, der feierlich und kühn, ppo_240.013 Wie ein erhabner Seher, zu den Räumen ppo_240.014 Der Unermeßlichkeit hinüber reißt? ppo_240.015 Woher der immer rege Geist, ppo_240.016 So über sich hinaus zu träumen, ppo_240.017 Um dort zu fordern, was ihm hier gebricht? — ppo_240.018 Aus Licht ist er zum Licht gebohren; ppo_240.019 Zu einem höhern Loos' erkohren, ppo_240.020 Jst seine Heimath hier auf Erden nicht. ppo_240.021 Hier ist der Vorsabbath der lichten Sonnenfeier; ppo_240.022 Die Morgenstunde, die den Späher weckt, ppo_240.023 Hinauf zu schauen zu dem Schleier, ppo_240.024 Der uns das Heiligthum versteckt. ppo_240.025 Und sieh! des Dulders finstern Horizont ppo_240.026 Umzittert, wie ein rother Morgenschimmer, ppo_240.027 Ein stilles Leuchten, das die Trümmer ppo_240.028 Des Lebens freundlich übersonnt. ppo_240.029 Der Wolkenvorhang war hinweggezogen; ppo_240.030 Wie eine junge blühende Natur ppo_240.031 Umarmte sanft ein schöner Friedensbogen ppo_240.032 Die Stille seiner Lebensflur; ppo_240.033 Da war's, als spräch' ein Geist zu ihm die Worte: ppo_240.034 „Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0252" n="240"/> <lb n="ppo_240.001"/> <lg> <l>Wenn sie das Heiligthum der Nacht vor dir entfaltet;</l> <lb n="ppo_240.002"/> <l>Und weihend steigt ein Genius herab,</l> <lb n="ppo_240.003"/> <l>An deine Hoheit dich zu mahnen,</l> <lb n="ppo_240.004"/> <l>Zu der du feierlich berufen bist.</l> <lb n="ppo_240.005"/> <l>Unendlichkeit kann nur das Wesen ahnen,</l> <lb n="ppo_240.006"/> <l>Das zur Unendlichkeit erkohren ist.</l> <lb n="ppo_240.007"/> <l> Wie? oder ist es eines Traumgesichtes</l> <lb n="ppo_240.008"/> <l>Verirrung nur, die uns ein hell'res Seyn verspricht?</l> <lb n="ppo_240.009"/> <l>Jst dieser Drang nach höherm Licht</l> <lb n="ppo_240.010"/> <l>Nicht Weissagung des höhern Lichtes?</l> <lb n="ppo_240.011"/> <l>Dann sprich, warum, warum ward uns der Drang verliehn,</l> <lb n="ppo_240.012"/> <l>Der tiefe Wahrheitssinn, der feierlich und kühn,</l> <lb n="ppo_240.013"/> <l>Wie ein erhabner Seher, zu den Räumen</l> <lb n="ppo_240.014"/> <l>Der Unermeßlichkeit hinüber reißt?</l> <lb n="ppo_240.015"/> <l>Woher der immer rege Geist,</l> <lb n="ppo_240.016"/> <l>So über sich hinaus zu träumen,</l> <lb n="ppo_240.017"/> <l>Um dort zu fordern, was ihm hier gebricht? —</l> <lb n="ppo_240.018"/> <l>Aus Licht ist er <hi rendition="#g">zum</hi> Licht gebohren;</l> <lb n="ppo_240.019"/> <l>Zu einem höhern Loos' erkohren,</l> <lb n="ppo_240.020"/> <l>Jst seine Heimath hier auf Erden nicht.</l> <lb n="ppo_240.021"/> <l>Hier ist der Vorsabbath der lichten Sonnenfeier;</l> <lb n="ppo_240.022"/> <l>Die Morgenstunde, die den Späher weckt,</l> <lb n="ppo_240.023"/> <l>Hinauf zu schauen zu dem Schleier,</l> <lb n="ppo_240.024"/> <l>Der uns das Heiligthum versteckt.</l> <lb n="ppo_240.025"/> <l> Und sieh! des Dulders finstern Horizont</l> <lb n="ppo_240.026"/> <l>Umzittert, wie ein rother Morgenschimmer,</l> <lb n="ppo_240.027"/> <l>Ein stilles Leuchten, das die Trümmer</l> <lb n="ppo_240.028"/> <l>Des Lebens freundlich übersonnt.</l> <lb n="ppo_240.029"/> <l> Der Wolkenvorhang war hinweggezogen;</l> <lb n="ppo_240.030"/> <l>Wie eine junge blühende Natur</l> <lb n="ppo_240.031"/> <l>Umarmte sanft ein schöner Friedensbogen</l> <lb n="ppo_240.032"/> <l>Die Stille seiner Lebensflur;</l> <lb n="ppo_240.033"/> <l>Da war's, als spräch' ein Geist zu ihm die Worte:</l> <lb n="ppo_240.034"/> <l>„Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht!</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [240/0252]
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Wenn sie das Heiligthum der Nacht vor dir entfaltet; ppo_240.002
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„Kein Funken einer Göttlichkeit verglüht!
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/252>, abgerufen am 16.07.2024. |