Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_318.001 45. ppo_318.002 ppo_318.003d) Die Legende. Die Legende steht in demselben Verhältnisse ppo_318.004 ppo_318.001 45. ppo_318.002 ppo_318.003d) Die Legende. Die Legende steht in demselben Verhältnisse ppo_318.004 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0330" n="318"/> </div> <div n="2"> <lb n="ppo_318.001"/> <head> <hi rendition="#c">45. <lb n="ppo_318.002"/><hi rendition="#aq">d</hi>) <hi rendition="#g">Die Legende.</hi></hi> </head> <lb n="ppo_318.003"/> <p> Die Legende steht in demselben Verhältnisse <lb n="ppo_318.004"/>einer Untergattung zur Romanze und Ballade, wie <lb n="ppo_318.005"/>die Dithyrambe zur Hymne. Denn sie enthält die <lb n="ppo_318.006"/>Darstellung von Gefühlen, welche durch die Vergegenwärtigung <lb n="ppo_318.007"/>von Jndividuen, Handlungen und Begebenheiten <lb n="ppo_318.008"/>erregt werden, unter der Einheit einer <lb n="ppo_318.009"/>vollendeten ästhetischen Form. Allein der eigenthümliche <lb n="ppo_318.010"/>Charakter der Legende, wodurch sie von der <lb n="ppo_318.011"/>Romanze und Ballade sich unterscheidet, beruht <lb n="ppo_318.012"/>darauf, daß ihr Stoff aus der <hi rendition="#g">religiösen Mythologie,</hi> <lb n="ppo_318.013"/>und, wenn der Stoff der christlichen <lb n="ppo_318.014"/>Religion angehört, aus der <hi rendition="#g">kirchlichen Ueberlieferung</hi> <lb n="ppo_318.015"/>entlehnt ist. Mag nun der Stoff aus <lb n="ppo_318.016"/>der indischen, oder der ägyptischen, aus der griechischen, <lb n="ppo_318.017"/>oder der christlichen, oder der mahomedanischen <lb n="ppo_318.018"/>Sagenwelt entnommen seyn; so hängt doch sein <lb n="ppo_318.019"/>dichterischer Gehalt ab von seiner ästhetischen Darstellbarkeit <lb n="ppo_318.020"/>in einer vollendeten Form. Enthält daher <lb n="ppo_318.021"/>die kirchliche Sage, als Stoff, Handlungen und <lb n="ppo_318.022"/>Thatsachen, welche entweder große Aufopferungen <lb n="ppo_318.023"/>im Dienste der Tugend und den Heldensinn der <lb n="ppo_318.024"/>Märtyrer bezeugen, oder welche angebliche Wunderthaten <lb n="ppo_318.025"/>der sogenannten Heiligen und selbst manche <lb n="ppo_318.026"/>lächerliche Ueberlieferung versinnlichen; so berücksichtigt <lb n="ppo_318.027"/>der Dichter der Legende nicht die <hi rendition="#g">geschichtliche <lb n="ppo_318.028"/>Beglaubigung</hi> dieser Stoffe; denn seine Aufgabe <lb n="ppo_318.029"/>ist keine geschichtliche, sondern eine ästhetische, <lb n="ppo_318.030"/>und <hi rendition="#g">diese</hi> wird erreicht, sobald er den ihm dargebotenen <lb n="ppo_318.031"/>Stoff, inwiefern er einen wohlthuenden <lb n="ppo_318.032"/>Eindruck auf sein Gefühlsvermögen vermittelte, zur <lb n="ppo_318.033"/>Einheit der ästhetischen Form erhob.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0330]
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d) Die Legende. ppo_318.003
Die Legende steht in demselben Verhältnisse ppo_318.004
einer Untergattung zur Romanze und Ballade, wie ppo_318.005
die Dithyrambe zur Hymne. Denn sie enthält die ppo_318.006
Darstellung von Gefühlen, welche durch die Vergegenwärtigung ppo_318.007
von Jndividuen, Handlungen und Begebenheiten ppo_318.008
erregt werden, unter der Einheit einer ppo_318.009
vollendeten ästhetischen Form. Allein der eigenthümliche ppo_318.010
Charakter der Legende, wodurch sie von der ppo_318.011
Romanze und Ballade sich unterscheidet, beruht ppo_318.012
darauf, daß ihr Stoff aus der religiösen Mythologie, ppo_318.013
und, wenn der Stoff der christlichen ppo_318.014
Religion angehört, aus der kirchlichen Ueberlieferung ppo_318.015
entlehnt ist. Mag nun der Stoff aus ppo_318.016
der indischen, oder der ägyptischen, aus der griechischen, ppo_318.017
oder der christlichen, oder der mahomedanischen ppo_318.018
Sagenwelt entnommen seyn; so hängt doch sein ppo_318.019
dichterischer Gehalt ab von seiner ästhetischen Darstellbarkeit ppo_318.020
in einer vollendeten Form. Enthält daher ppo_318.021
die kirchliche Sage, als Stoff, Handlungen und ppo_318.022
Thatsachen, welche entweder große Aufopferungen ppo_318.023
im Dienste der Tugend und den Heldensinn der ppo_318.024
Märtyrer bezeugen, oder welche angebliche Wunderthaten ppo_318.025
der sogenannten Heiligen und selbst manche ppo_318.026
lächerliche Ueberlieferung versinnlichen; so berücksichtigt ppo_318.027
der Dichter der Legende nicht die geschichtliche ppo_318.028
Beglaubigung dieser Stoffe; denn seine Aufgabe ppo_318.029
ist keine geschichtliche, sondern eine ästhetische, ppo_318.030
und diese wird erreicht, sobald er den ihm dargebotenen ppo_318.031
Stoff, inwiefern er einen wohlthuenden ppo_318.032
Eindruck auf sein Gefühlsvermögen vermittelte, zur ppo_318.033
Einheit der ästhetischen Form erhob.
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