Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_362.001 Ein weißer Rabe, lahm und grau ppo_362.002
Vor Alter, saß bei dem Monarchen ppo_362.003 Und schwieg. Mit zornigem Gesicht ppo_362.004 Sprach der Despot zum Patriarchen: ppo_362.005 "Rebelle, warum singst du nicht?" -- ppo_362.006 "Weil dein Gebot mein Herz empöret," ppo_362.007 Versetzt der Alte, "glaube mir, ppo_362.008 Der Schöpfer hat ein jedes Thier ppo_362.009 Sein eigenes Gebet gelehret, ppo_362.010 Das ihm gefällt. Ein Lobgesang, ppo_362.011 Den Furcht erpreßt, ist Uebelklang, ppo_362.012 Jst Lästerung, die ihn entehret. ppo_362.013 Befiehl nur meinen Tod!" -- Er schwieg. ppo_362.014 Der Sultan auch. Wie Meereswogen ppo_362.015 Erschäumt sein Blut. -- Noch schwankt der Sieg! ppo_362.016 Doch schnell rief er: "Jch ward betrogen. ppo_362.017 Heil dir, o Freund, du zogst mir ab ppo_362.018 Den Schleier, der mein Aug' umgab. ppo_362.019 Und ihr empfangt die Freiheit wieder, ppo_362.020 Jhr Vögel; singet eure Lieder ppo_362.021 Jn euerm angebohrnen Ton!" ppo_362.022 Jetzt drangen sie in dichten Kreisen ppo_362.023 Entzückt um des Monarchen Thron, ppo_362.024 Und lobten Gott nach tausend Weisen. ppo_362.025 Der majestätische Choral ppo_362.026 Steigt wallend in die lichten Sphären. ppo_362.027 Der Sultan staunt. Zum erstenmal ppo_362.028 Hört er, was keine Mufti's hören: ppo_362.029 Jn der verschied'nen Melodie ppo_362.030 Die feierlichste Harmonie. ppo_362.001 Ein weißer Rabe, lahm und grau ppo_362.002
Vor Alter, saß bei dem Monarchen ppo_362.003 Und schwieg. Mit zornigem Gesicht ppo_362.004 Sprach der Despot zum Patriarchen: ppo_362.005 „Rebelle, warum singst du nicht?“ — ppo_362.006 „Weil dein Gebot mein Herz empöret,“ ppo_362.007 Versetzt der Alte, „glaube mir, ppo_362.008 Der Schöpfer hat ein jedes Thier ppo_362.009 Sein eigenes Gebet gelehret, ppo_362.010 Das ihm gefällt. Ein Lobgesang, ppo_362.011 Den Furcht erpreßt, ist Uebelklang, ppo_362.012 Jst Lästerung, die ihn entehret. ppo_362.013 Befiehl nur meinen Tod!“ — Er schwieg. ppo_362.014 Der Sultan auch. Wie Meereswogen ppo_362.015 Erschäumt sein Blut. — Noch schwankt der Sieg! ppo_362.016 Doch schnell rief er: „Jch ward betrogen. ppo_362.017 Heil dir, o Freund, du zogst mir ab ppo_362.018 Den Schleier, der mein Aug' umgab. ppo_362.019 Und ihr empfangt die Freiheit wieder, ppo_362.020 Jhr Vögel; singet eure Lieder ppo_362.021 Jn euerm angebohrnen Ton!“ ppo_362.022 Jetzt drangen sie in dichten Kreisen ppo_362.023 Entzückt um des Monarchen Thron, ppo_362.024 Und lobten Gott nach tausend Weisen. ppo_362.025 Der majestätische Choral ppo_362.026 Steigt wallend in die lichten Sphären. ppo_362.027 Der Sultan staunt. Zum erstenmal ppo_362.028 Hört er, was keine Mufti's hören: ppo_362.029 Jn der verschied'nen Melodie ppo_362.030 Die feierlichste Harmonie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" n="362"/> <lb n="ppo_362.001"/> <lg> <l> Ein weißer Rabe, lahm und grau</l> <lb n="ppo_362.002"/> <l>Vor Alter, saß bei dem Monarchen</l> <lb n="ppo_362.003"/> <l>Und schwieg. Mit zornigem Gesicht</l> <lb n="ppo_362.004"/> <l>Sprach der Despot zum Patriarchen:</l> <lb n="ppo_362.005"/> <l>„Rebelle, warum singst du nicht?“ —</l> <lb n="ppo_362.006"/> <l>„Weil dein Gebot mein Herz empöret,“</l> <lb n="ppo_362.007"/> <l>Versetzt der Alte, „glaube mir,</l> <lb n="ppo_362.008"/> <l> <hi rendition="#g">Der Schöpfer hat ein jedes Thier</hi> </l> <lb n="ppo_362.009"/> <l> <hi rendition="#g">Sein eigenes Gebet gelehret,</hi> </l> <lb n="ppo_362.010"/> <l>Das ihm gefällt. Ein Lobgesang,</l> <lb n="ppo_362.011"/> <l>Den Furcht erpreßt, ist Uebelklang,</l> <lb n="ppo_362.012"/> <l>Jst Lästerung, die ihn entehret.</l> <lb n="ppo_362.013"/> <l>Befiehl nur meinen Tod!“ — Er schwieg.</l> <lb n="ppo_362.014"/> <l>Der Sultan auch. Wie Meereswogen</l> <lb n="ppo_362.015"/> <l>Erschäumt sein Blut. — Noch schwankt der Sieg!</l> <lb n="ppo_362.016"/> <l>Doch schnell rief er: „Jch ward betrogen.</l> <lb n="ppo_362.017"/> <l>Heil dir, o Freund, du zogst mir ab</l> <lb n="ppo_362.018"/> <l>Den Schleier, der mein Aug' umgab.</l> <lb n="ppo_362.019"/> <l>Und ihr empfangt die Freiheit wieder,</l> <lb n="ppo_362.020"/> <l>Jhr Vögel; singet eure Lieder</l> <lb n="ppo_362.021"/> <l>Jn euerm angebohrnen Ton!“</l> <lb n="ppo_362.022"/> <l> Jetzt drangen sie in dichten Kreisen</l> <lb n="ppo_362.023"/> <l>Entzückt um des Monarchen Thron,</l> <lb n="ppo_362.024"/> <l> <hi rendition="#g">Und lobten Gott nach tausend Weisen.</hi> </l> <lb n="ppo_362.025"/> <l>Der majestätische Choral</l> <lb n="ppo_362.026"/> <l>Steigt wallend in die lichten Sphären.</l> <lb n="ppo_362.027"/> <l>Der Sultan staunt. Zum erstenmal</l> <lb n="ppo_362.028"/> <l>Hört er, was keine Mufti's hören:</l> <lb n="ppo_362.029"/> <l>Jn der <hi rendition="#g">verschied'nen</hi> Melodie</l> <lb n="ppo_362.030"/> <l>Die feierlichste Harmonie.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0374]
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Die feierlichste Harmonie.
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