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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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die Sense in der Hand des alten Bauern, in weitem Bogen.
Ganz unten am Boden faßte sein kräftiger Hieb das Korn und
legte es in breiten Schwaden hinter die Sense. Karl konnte
es nicht besser, als der Alte, trotz der dreißig Jahre, die er
weniger auf dem Rücken hatte. Der Abstand zwischen den
beiden Männern blieb der gleiche. Der Sohn trat dem Vater
nicht auf die Absätze, wie es wohl sonst geschieht, wenn ein
junger und kräftiger Schnitter einem alten folgt. Die Frauen
hatten genug zu thun, die Ähren hinter den Sensen abzuraffen
und auf Schwad zu legen.

So hatte man bereits eine halbe Stunde gearbeitet und
der alte Mann hatte noch nicht den Wink zu einer Ruhe¬
pause gegeben. Toni fing an, Zeichen von Müdigkeit an den
Tag zu legen. Die Arbeit war dem Mädchen nie besonders
von der Hand geflogen; in ihrem jetzigen Zustande wurde ihr
jede Anstrengung doppelt schwer. "Tritt ack aus, Toni!"
raunte ihr der Bruder zu, "ich wer's Ernestinel ruffen. Mach
Du ack Strohseele." Toni hielt inne. Es war die höchste
Zeit; sie war in Schweiß gebadet, blaurot im Gesicht.
Karl winkte Ernestine heran, die an Stelle der Schwester
eintrat. Die Reihe hatte sich geschlossen, ohne daß der
alte Bauer, der mit allem Sinnen und Denken bei der
Arbeit war, etwas von dem Wechsel gemerkt hätte. Ernestine
war eine rührige Arbeiterin. Man sah es den schlanken Glie¬
dern der Sechzehnjährigen nicht an, was für Zähigkeit und aus¬
dauernde Kraft darin steckte.

Als der Büttnerbauer Halt machte im Hauen, weil seine
Sense gegen einen Stein geschlagen, und er die Scharte
auswetzen mußte, bemerkte er, daß seine älteste Tochter nicht
mehr in der Linie war. Sie saß im Hintergrunde und drehte
an Ernestinens Stelle Strohseile. Das Gesicht des Alten ver¬
finsterte sich; er begriff sofort den Grund ihrer Entfernung
-- aber er sagte nichts. Die andern benutzten die Gelegenheit,
um sich zu verpusten, während der Vater die Sense schärfte.
Dann gings von neuem ans Werk.

Noch war es nicht acht Uhr des Morgens und schon

die Senſe in der Hand des alten Bauern, in weitem Bogen.
Ganz unten am Boden faßte ſein kräftiger Hieb das Korn und
legte es in breiten Schwaden hinter die Senſe. Karl konnte
es nicht beſſer, als der Alte, trotz der dreißig Jahre, die er
weniger auf dem Rücken hatte. Der Abſtand zwiſchen den
beiden Männern blieb der gleiche. Der Sohn trat dem Vater
nicht auf die Abſätze, wie es wohl ſonſt geſchieht, wenn ein
junger und kräftiger Schnitter einem alten folgt. Die Frauen
hatten genug zu thun, die Ähren hinter den Senſen abzuraffen
und auf Schwad zu legen.

So hatte man bereits eine halbe Stunde gearbeitet und
der alte Mann hatte noch nicht den Wink zu einer Ruhe¬
pauſe gegeben. Toni fing an, Zeichen von Müdigkeit an den
Tag zu legen. Die Arbeit war dem Mädchen nie beſonders
von der Hand geflogen; in ihrem jetzigen Zuſtande wurde ihr
jede Anſtrengung doppelt ſchwer. „Tritt ack aus, Toni!“
raunte ihr der Bruder zu, „ich wer's Erneſtinel ruffen. Mach
Du ack Strohſeele.“ Toni hielt inne. Es war die höchſte
Zeit; ſie war in Schweiß gebadet, blaurot im Geſicht.
Karl winkte Erneſtine heran, die an Stelle der Schweſter
eintrat. Die Reihe hatte ſich geſchloſſen, ohne daß der
alte Bauer, der mit allem Sinnen und Denken bei der
Arbeit war, etwas von dem Wechſel gemerkt hätte. Erneſtine
war eine rührige Arbeiterin. Man ſah es den ſchlanken Glie¬
dern der Sechzehnjährigen nicht an, was für Zähigkeit und aus¬
dauernde Kraft darin ſteckte.

Als der Büttnerbauer Halt machte im Hauen, weil ſeine
Senſe gegen einen Stein geſchlagen, und er die Scharte
auswetzen mußte, bemerkte er, daß ſeine älteſte Tochter nicht
mehr in der Linie war. Sie ſaß im Hintergrunde und drehte
an Erneſtinens Stelle Strohſeile. Das Geſicht des Alten ver¬
finſterte ſich; er begriff ſofort den Grund ihrer Entfernung
— aber er ſagte nichts. Die andern benutzten die Gelegenheit,
um ſich zu verpuſten, während der Vater die Senſe ſchärfte.
Dann gings von neuem ans Werk.

Noch war es nicht acht Uhr des Morgens und ſchon

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[117/0131] die Senſe in der Hand des alten Bauern, in weitem Bogen. Ganz unten am Boden faßte ſein kräftiger Hieb das Korn und legte es in breiten Schwaden hinter die Senſe. Karl konnte es nicht beſſer, als der Alte, trotz der dreißig Jahre, die er weniger auf dem Rücken hatte. Der Abſtand zwiſchen den beiden Männern blieb der gleiche. Der Sohn trat dem Vater nicht auf die Abſätze, wie es wohl ſonſt geſchieht, wenn ein junger und kräftiger Schnitter einem alten folgt. Die Frauen hatten genug zu thun, die Ähren hinter den Senſen abzuraffen und auf Schwad zu legen. So hatte man bereits eine halbe Stunde gearbeitet und der alte Mann hatte noch nicht den Wink zu einer Ruhe¬ pauſe gegeben. Toni fing an, Zeichen von Müdigkeit an den Tag zu legen. Die Arbeit war dem Mädchen nie beſonders von der Hand geflogen; in ihrem jetzigen Zuſtande wurde ihr jede Anſtrengung doppelt ſchwer. „Tritt ack aus, Toni!“ raunte ihr der Bruder zu, „ich wer's Erneſtinel ruffen. Mach Du ack Strohſeele.“ Toni hielt inne. Es war die höchſte Zeit; ſie war in Schweiß gebadet, blaurot im Geſicht. Karl winkte Erneſtine heran, die an Stelle der Schweſter eintrat. Die Reihe hatte ſich geſchloſſen, ohne daß der alte Bauer, der mit allem Sinnen und Denken bei der Arbeit war, etwas von dem Wechſel gemerkt hätte. Erneſtine war eine rührige Arbeiterin. Man ſah es den ſchlanken Glie¬ dern der Sechzehnjährigen nicht an, was für Zähigkeit und aus¬ dauernde Kraft darin ſteckte. Als der Büttnerbauer Halt machte im Hauen, weil ſeine Senſe gegen einen Stein geſchlagen, und er die Scharte auswetzen mußte, bemerkte er, daß ſeine älteſte Tochter nicht mehr in der Linie war. Sie ſaß im Hintergrunde und drehte an Erneſtinens Stelle Strohſeile. Das Geſicht des Alten ver¬ finſterte ſich; er begriff ſofort den Grund ihrer Entfernung — aber er ſagte nichts. Die andern benutzten die Gelegenheit, um ſich zu verpuſten, während der Vater die Senſe ſchärfte. Dann gings von neuem ans Werk. Noch war es nicht acht Uhr des Morgens und ſchon

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/131>, abgerufen am 23.11.2024.