sofort die Gefährlichkeit der Lage ein. Er sagte sich, daß et¬ was geschehen müsse, um die angedrohte Maßregel zu ver¬ hindern. Zunächst schien es immer noch das vernünftigste, mit Kaschelernst selbst Rücksprache zu nehmen. Am Ende ließ er sich doch dazu bringen, Stundung zu gewähren, vor allem wenn man ihm vorstellte, daß er sein Geld bei einer Zwangs¬ vollstreckung kaum herausbekommen und im Falle der Ver¬ steigerung sogar gänzlich einbüßen werde. Dadurch gewann man Frist, und währenddessen gelang es vielleicht, von anderer Seite Hülfe zu schaffen.
Gustav ging also noch am selben Morgen, als die Ur¬ kunde vom Gericht eingetroffen war, nach dem Kretscham. Leicht wurde ihm der Gang nicht. Er würde bitten müssen, auf alle Fälle sich demütigen vor den Verwandten. Dabei war ihm die ganze Familie widerlich. Seinen Onkel Kaschel hatte er nie ausstehen mögen. Wenn er an seine Kousine Ottilie dachte, hätte ihm übel werden können. Und auch mit seinem Vetter Richard stand er auf gespanntem Fuße, seit er ihn, als Jungen, einmal windelweich geprügelt. Gustav hatte den Vetter nämlich dabei überrascht, wie er mit dem Pustrohre nach einem Huhn schoß, das er an einen Baum angebunden hatte, als lebendige Zielscheibe. Diese Züchtigung hatte Richard Kaschel wohl nicht so leicht vergessen.
Gustav traf in der Schenkstube seine Kousine Ottilie. Er fragte sie, ohne Umschweife, nach dem Vater. Der sei im Keller mit Richard und ziehe Bier ab, erklärte das Mädchen, verlegen kichernd. Dann bat sie den Vetter, doch ins gute Zimmer zu treten. Dieser Raum lag neben der großen Gast¬ stube, und unterschied sich von ihr in seiner Ausstattung eigen¬ lich nur durch ein Paar schlechte Öldrucke, welche den Kaiser und die Kaiserin darstellten.
Hier mußte Gustav Platz nehmen. Ottilie war über¬ geschäftig um ihn bemüht, ihm einen Stuhl zurechtzurücken und den Tisch vor ihm mit einem Tuche abzuwischen. Dabei blinzelte sie den Vetter mit vielsagendem Lächeln von der Seite an. Er sei von der Stadt her verwöhnt, zirpte sie mit er¬
ſofort die Gefährlichkeit der Lage ein. Er ſagte ſich, daß et¬ was geſchehen müſſe, um die angedrohte Maßregel zu ver¬ hindern. Zunächſt ſchien es immer noch das vernünftigſte, mit Kaſchelernſt ſelbſt Rückſprache zu nehmen. Am Ende ließ er ſich doch dazu bringen, Stundung zu gewähren, vor allem wenn man ihm vorſtellte, daß er ſein Geld bei einer Zwangs¬ vollſtreckung kaum herausbekommen und im Falle der Ver¬ ſteigerung ſogar gänzlich einbüßen werde. Dadurch gewann man Friſt, und währenddeſſen gelang es vielleicht, von anderer Seite Hülfe zu ſchaffen.
Guſtav ging alſo noch am ſelben Morgen, als die Ur¬ kunde vom Gericht eingetroffen war, nach dem Kretſcham. Leicht wurde ihm der Gang nicht. Er würde bitten müſſen, auf alle Fälle ſich demütigen vor den Verwandten. Dabei war ihm die ganze Familie widerlich. Seinen Onkel Kaſchel hatte er nie ausſtehen mögen. Wenn er an ſeine Kouſine Ottilie dachte, hätte ihm übel werden können. Und auch mit ſeinem Vetter Richard ſtand er auf geſpanntem Fuße, ſeit er ihn, als Jungen, einmal windelweich geprügelt. Guſtav hatte den Vetter nämlich dabei überraſcht, wie er mit dem Puſtrohre nach einem Huhn ſchoß, das er an einen Baum angebunden hatte, als lebendige Zielſcheibe. Dieſe Züchtigung hatte Richard Kaſchel wohl nicht ſo leicht vergeſſen.
Guſtav traf in der Schenkſtube ſeine Kouſine Ottilie. Er fragte ſie, ohne Umſchweife, nach dem Vater. Der ſei im Keller mit Richard und ziehe Bier ab, erklärte das Mädchen, verlegen kichernd. Dann bat ſie den Vetter, doch ins gute Zimmer zu treten. Dieſer Raum lag neben der großen Gaſt¬ ſtube, und unterſchied ſich von ihr in ſeiner Ausſtattung eigen¬ lich nur durch ein Paar ſchlechte Öldrucke, welche den Kaiſer und die Kaiſerin darſtellten.
Hier mußte Guſtav Platz nehmen. Ottilie war über¬ geſchäftig um ihn bemüht, ihm einen Stuhl zurechtzurücken und den Tiſch vor ihm mit einem Tuche abzuwiſchen. Dabei blinzelte ſie den Vetter mit vielſagendem Lächeln von der Seite an. Er ſei von der Stadt her verwöhnt, zirpte ſie mit er¬
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ſofort die Gefährlichkeit der Lage ein. Er ſagte ſich, daß et¬
was geſchehen müſſe, um die angedrohte Maßregel zu ver¬
hindern. Zunächſt ſchien es immer noch das vernünftigſte,
mit Kaſchelernſt ſelbſt Rückſprache zu nehmen. Am Ende ließ
er ſich doch dazu bringen, Stundung zu gewähren, vor allem
wenn man ihm vorſtellte, daß er ſein Geld bei einer Zwangs¬
vollſtreckung kaum herausbekommen und im Falle der Ver¬
ſteigerung ſogar gänzlich einbüßen werde. Dadurch gewann
man Friſt, und währenddeſſen gelang es vielleicht, von anderer
Seite Hülfe zu ſchaffen.
Guſtav ging alſo noch am ſelben Morgen, als die Ur¬
kunde vom Gericht eingetroffen war, nach dem Kretſcham.
Leicht wurde ihm der Gang nicht. Er würde bitten müſſen,
auf alle Fälle ſich demütigen vor den Verwandten. Dabei
war ihm die ganze Familie widerlich. Seinen Onkel Kaſchel
hatte er nie ausſtehen mögen. Wenn er an ſeine Kouſine
Ottilie dachte, hätte ihm übel werden können. Und auch mit
ſeinem Vetter Richard ſtand er auf geſpanntem Fuße, ſeit er
ihn, als Jungen, einmal windelweich geprügelt. Guſtav hatte
den Vetter nämlich dabei überraſcht, wie er mit dem Puſtrohre
nach einem Huhn ſchoß, das er an einen Baum angebunden
hatte, als lebendige Zielſcheibe. Dieſe Züchtigung hatte Richard
Kaſchel wohl nicht ſo leicht vergeſſen.
Guſtav traf in der Schenkſtube ſeine Kouſine Ottilie.
Er fragte ſie, ohne Umſchweife, nach dem Vater. Der ſei im
Keller mit Richard und ziehe Bier ab, erklärte das Mädchen,
verlegen kichernd. Dann bat ſie den Vetter, doch ins gute
Zimmer zu treten. Dieſer Raum lag neben der großen Gaſt¬
ſtube, und unterſchied ſich von ihr in ſeiner Ausſtattung eigen¬
lich nur durch ein Paar ſchlechte Öldrucke, welche den Kaiſer
und die Kaiſerin darſtellten.
Hier mußte Guſtav Platz nehmen. Ottilie war über¬
geſchäftig um ihn bemüht, ihm einen Stuhl zurechtzurücken
und den Tiſch vor ihm mit einem Tuche abzuwiſchen. Dabei
blinzelte ſie den Vetter mit vielſagendem Lächeln von der Seite
an. Er ſei von der Stadt her verwöhnt, zirpte ſie mit er¬
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/180>, abgerufen am 30.11.2024.
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