Es lag etwas Ansteckendes in dieser Bewegung. Man wollte sich einmal verändern, wollte sein Glück in der Ferne versuchen. Der Agent schilderte die Verhältnisse da draußen im Westen in verlockenden Farben. Und wenn der Mann vielleicht auch Schönfärberei trieb, seines Geschäftes wegen, schließlich schlimmer als daheim konnte es dort wohl auch nicht sein. Und der Gedanke, zu wandern, ein Stück Welt zu sehen, packte die Gemüter mächtig. Die Fremde lockte mit ihren unklaren, dem Auge im bläulichen Dunst der Ferne verschwimmenden Dingen. Das Frühjahr stand vor der Thür; da sind die Hoffnungen leicht erregbar in der Menschen¬ brust. Da wachsen und quellen heimliche Wünsche, ein unver¬ ständlicher Drang treibt, ein süßes und beunruhigendes Ge¬ fühl quält den jungen Menschen und reizt ihn zu Neuem, Unentdecktem. Der tief in die Menschennatur gesenkte Trieb, sich zu verändern, der Wandertrieb, regte sich.
Wie die Zugvögel kamen sie zusammen. Einer sagte es dem anderen; überall in den Schenkstuben, des Sonntags vor der Kirche, bei gemeinsamer Arbeit, wo immer Menschen zu¬ sammenkamen, wurde das Für und Wider eifrig besprochen. Die Hoffnungsfreudigen steckten die Verzagten an; wer bereits unterschrieben hatte, suchte Gefährten zu werben. Wie der Schneeball im Rollen wuchs die Bewegung.
Schon reute es manchen jungen Mann und manches Mädchen in Halbenau, daß sie neulich die Anträge des Auf¬ seheragenten abgelehnt hatten. Heimlich gingen sie dorthin, wo er neuerdings sein Quartier aufgeschlagen hatte, um sich seine Worte doch noch einmal mit anzuhören.
Eines Abens befand sich denn auch Gustav Büttner auf dem Wege nach dem benachbarten Wörmsbach, wo, wie er aus den Zeitungen ersehen hatte, Zittwitz heute sprechen wollte. Gustav hatte daheim keinem Menschen etwas gesagt, von sei¬ nem Vorhaben. Niemand in Halbenau sollte etwas davon wissen, er wollte sich gänzlich im Hintergrunde halten; wenn irgendmöglich, wollte er vermeiden, von dem Agenten selbst gesehen zu werden.
Es lag etwas Anſteckendes in dieſer Bewegung. Man wollte ſich einmal verändern, wollte ſein Glück in der Ferne verſuchen. Der Agent ſchilderte die Verhältniſſe da draußen im Weſten in verlockenden Farben. Und wenn der Mann vielleicht auch Schönfärberei trieb, ſeines Geſchäftes wegen, ſchließlich ſchlimmer als daheim konnte es dort wohl auch nicht ſein. Und der Gedanke, zu wandern, ein Stück Welt zu ſehen, packte die Gemüter mächtig. Die Fremde lockte mit ihren unklaren, dem Auge im bläulichen Dunſt der Ferne verſchwimmenden Dingen. Das Frühjahr ſtand vor der Thür; da ſind die Hoffnungen leicht erregbar in der Menſchen¬ bruſt. Da wachſen und quellen heimliche Wünſche, ein unver¬ ſtändlicher Drang treibt, ein ſüßes und beunruhigendes Ge¬ fühl quält den jungen Menſchen und reizt ihn zu Neuem, Unentdecktem. Der tief in die Menſchennatur geſenkte Trieb, ſich zu verändern, der Wandertrieb, regte ſich.
Wie die Zugvögel kamen ſie zuſammen. Einer ſagte es dem anderen; überall in den Schenkſtuben, des Sonntags vor der Kirche, bei gemeinſamer Arbeit, wo immer Menſchen zu¬ ſammenkamen, wurde das Für und Wider eifrig beſprochen. Die Hoffnungsfreudigen ſteckten die Verzagten an; wer bereits unterſchrieben hatte, ſuchte Gefährten zu werben. Wie der Schneeball im Rollen wuchs die Bewegung.
Schon reute es manchen jungen Mann und manches Mädchen in Halbenau, daß ſie neulich die Anträge des Auf¬ ſeheragenten abgelehnt hatten. Heimlich gingen ſie dorthin, wo er neuerdings ſein Quartier aufgeſchlagen hatte, um ſich ſeine Worte doch noch einmal mit anzuhören.
Eines Abens befand ſich denn auch Guſtav Büttner auf dem Wege nach dem benachbarten Wörmsbach, wo, wie er aus den Zeitungen erſehen hatte, Zittwitz heute ſprechen wollte. Guſtav hatte daheim keinem Menſchen etwas geſagt, von ſei¬ nem Vorhaben. Niemand in Halbenau ſollte etwas davon wiſſen, er wollte ſich gänzlich im Hintergrunde halten; wenn irgendmöglich, wollte er vermeiden, von dem Agenten ſelbſt geſehen zu werden.
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Es lag etwas Anſteckendes in dieſer Bewegung. Man
wollte ſich einmal verändern, wollte ſein Glück in der Ferne
verſuchen. Der Agent ſchilderte die Verhältniſſe da draußen
im Weſten in verlockenden Farben. Und wenn der Mann
vielleicht auch Schönfärberei trieb, ſeines Geſchäftes wegen,
ſchließlich ſchlimmer als daheim konnte es dort wohl auch nicht
ſein. Und der Gedanke, zu wandern, ein Stück Welt zu
ſehen, packte die Gemüter mächtig. Die Fremde lockte mit
ihren unklaren, dem Auge im bläulichen Dunſt der Ferne
verſchwimmenden Dingen. Das Frühjahr ſtand vor der Thür;
da ſind die Hoffnungen leicht erregbar in der Menſchen¬
bruſt. Da wachſen und quellen heimliche Wünſche, ein unver¬
ſtändlicher Drang treibt, ein ſüßes und beunruhigendes Ge¬
fühl quält den jungen Menſchen und reizt ihn zu Neuem,
Unentdecktem. Der tief in die Menſchennatur geſenkte Trieb,
ſich zu verändern, der Wandertrieb, regte ſich.
Wie die Zugvögel kamen ſie zuſammen. Einer ſagte es
dem anderen; überall in den Schenkſtuben, des Sonntags vor
der Kirche, bei gemeinſamer Arbeit, wo immer Menſchen zu¬
ſammenkamen, wurde das Für und Wider eifrig beſprochen.
Die Hoffnungsfreudigen ſteckten die Verzagten an; wer bereits
unterſchrieben hatte, ſuchte Gefährten zu werben. Wie der
Schneeball im Rollen wuchs die Bewegung.
Schon reute es manchen jungen Mann und manches
Mädchen in Halbenau, daß ſie neulich die Anträge des Auf¬
ſeheragenten abgelehnt hatten. Heimlich gingen ſie dorthin, wo
er neuerdings ſein Quartier aufgeſchlagen hatte, um ſich ſeine
Worte doch noch einmal mit anzuhören.
Eines Abens befand ſich denn auch Guſtav Büttner auf
dem Wege nach dem benachbarten Wörmsbach, wo, wie er aus
den Zeitungen erſehen hatte, Zittwitz heute ſprechen wollte.
Guſtav hatte daheim keinem Menſchen etwas geſagt, von ſei¬
nem Vorhaben. Niemand in Halbenau ſollte etwas davon
wiſſen, er wollte ſich gänzlich im Hintergrunde halten; wenn
irgendmöglich, wollte er vermeiden, von dem Agenten ſelbſt
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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