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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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das Mädchen mit ihrer runzeligen Hand liebevoll tätschelnd,
"De werst uns duch su was ne oanthun wellen. Was sillte
denn aus dan kleenen Kingern warn, dernoa? Gieh! Bleib
ack bei uns, Guste! Weeß mer denne, wie's da draußen sen
mag."

Dann sah sich die Greisin hilfesuchend im Kreise um:
"'s is ane Sinde und ane Schande, su a Madel, mit¬
nahmen!" Und sich dem Mädchen wieder zuwendend: "Gleb
mirsch, Guste, Dir wird's ei der Fremde bange wer'n nach
der Heemde."

In geschwätziger Greisenart erzählte sie jedem, der es
hören wollte, von ihrer Not. Ihre Tochter, die Mutter des
Mädchens, lag schon im siebenten Monat, an's Bett gefesselt.
Der Schwiegersohn war als Steinmetzger im Gebirge, hatte
einen Haufen kleiner Kinder. Und nun wollte die Guste
auch noch fort, welche bisher die Stütze des ganzen Haushalts
gewesen war. "Raden Sie er ack zu!" bat sie die Umstehen¬
den. "Uf mich Altes thut se ne hieren. Se soit, se will sich
a Sticke Geld verdienen mit a Riebenhacka. Ich ha' gesoit,
iber se gesoit ha' ich: Guste, 's is duch ane Sinde und ane
Schande, su a Madel, su a jung's Madel alleene ei de Fremde
lofa. Was sull denne aus uns warn hernach'n."

Die Greisin blickte in hilfloser Verzweifelung von einem
zum anderen. Während sie noch ihr Leid klagte, war die
Enkelin unvermerkt von ihrer Seite gewichen. Bald darauf
sah man ihr rotes Kopftuch in der Nähe des Podiums, und
nach einiger Zeit verlas der Agent ihren Namen unter den
Angeworbenen.

Gustav erlebte mit Staunen, wie flott hier das Geschäft
des Werbers ging. Freilich, in Wörmsbach lagen die Verhält¬
nisse auch anders, als bei ihnen in Halbenau. Wörmsbach und
seine Bewohner genossen nicht gerade den besten Ruf in der
Nachbarschaft. Hier hatte es ursprünglich viele wohlhabende
und selbständige Bauern gegeben. Eine Zeit lang nahm der
Ort einen Aufschwung, der die Nachbardörfer in Schatten
stellte. Aber die junge Generation hatte angefangen, auf

das Mädchen mit ihrer runzeligen Hand liebevoll tätſchelnd,
„De werſt uns duch ſu was ne oanthun wellen. Was ſillte
denn aus dan kleenen Kingern warn, dernoa? Gieh! Bleib
ack bei uns, Guſte! Weeß mer denne, wie's da draußen ſen
mag.“

Dann ſah ſich die Greiſin hilfeſuchend im Kreiſe um:
„'s is ane Sinde und ane Schande, ſu a Madel, mit¬
nahmen!“ Und ſich dem Mädchen wieder zuwendend: „Gleb
mirſch, Guſte, Dir wird's ei der Fremde bange wer'n nach
der Heemde.“

In geſchwätziger Greiſenart erzählte ſie jedem, der es
hören wollte, von ihrer Not. Ihre Tochter, die Mutter des
Mädchens, lag ſchon im ſiebenten Monat, an's Bett gefeſſelt.
Der Schwiegerſohn war als Steinmetzger im Gebirge, hatte
einen Haufen kleiner Kinder. Und nun wollte die Guſte
auch noch fort, welche bisher die Stütze des ganzen Haushalts
geweſen war. „Raden Sie er ack zu!“ bat ſie die Umſtehen¬
den. „Uf mich Altes thut ſe ne hieren. Se ſoit, ſe will ſich
a Sticke Geld verdienen mit a Riebenhacka. Ich ha' geſoit,
iber ſe geſoit ha' ich: Guſte, 's is duch ane Sinde und ane
Schande, ſu a Madel, ſu a jung's Madel alleene ei de Fremde
lofa. Was ſull denne aus uns warn hernach'n.“

Die Greiſin blickte in hilfloſer Verzweifelung von einem
zum anderen. Während ſie noch ihr Leid klagte, war die
Enkelin unvermerkt von ihrer Seite gewichen. Bald darauf
ſah man ihr rotes Kopftuch in der Nähe des Podiums, und
nach einiger Zeit verlas der Agent ihren Namen unter den
Angeworbenen.

Guſtav erlebte mit Staunen, wie flott hier das Geſchäft
des Werbers ging. Freilich, in Wörmsbach lagen die Verhält¬
niſſe auch anders, als bei ihnen in Halbenau. Wörmsbach und
ſeine Bewohner genoſſen nicht gerade den beſten Ruf in der
Nachbarſchaft. Hier hatte es urſprünglich viele wohlhabende
und ſelbſtändige Bauern gegeben. Eine Zeit lang nahm der
Ort einen Aufſchwung, der die Nachbardörfer in Schatten
ſtellte. Aber die junge Generation hatte angefangen, auf

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[237/0251] das Mädchen mit ihrer runzeligen Hand liebevoll tätſchelnd, „De werſt uns duch ſu was ne oanthun wellen. Was ſillte denn aus dan kleenen Kingern warn, dernoa? Gieh! Bleib ack bei uns, Guſte! Weeß mer denne, wie's da draußen ſen mag.“ Dann ſah ſich die Greiſin hilfeſuchend im Kreiſe um: „'s is ane Sinde und ane Schande, ſu a Madel, mit¬ nahmen!“ Und ſich dem Mädchen wieder zuwendend: „Gleb mirſch, Guſte, Dir wird's ei der Fremde bange wer'n nach der Heemde.“ In geſchwätziger Greiſenart erzählte ſie jedem, der es hören wollte, von ihrer Not. Ihre Tochter, die Mutter des Mädchens, lag ſchon im ſiebenten Monat, an's Bett gefeſſelt. Der Schwiegerſohn war als Steinmetzger im Gebirge, hatte einen Haufen kleiner Kinder. Und nun wollte die Guſte auch noch fort, welche bisher die Stütze des ganzen Haushalts geweſen war. „Raden Sie er ack zu!“ bat ſie die Umſtehen¬ den. „Uf mich Altes thut ſe ne hieren. Se ſoit, ſe will ſich a Sticke Geld verdienen mit a Riebenhacka. Ich ha' geſoit, iber ſe geſoit ha' ich: Guſte, 's is duch ane Sinde und ane Schande, ſu a Madel, ſu a jung's Madel alleene ei de Fremde lofa. Was ſull denne aus uns warn hernach'n.“ Die Greiſin blickte in hilfloſer Verzweifelung von einem zum anderen. Während ſie noch ihr Leid klagte, war die Enkelin unvermerkt von ihrer Seite gewichen. Bald darauf ſah man ihr rotes Kopftuch in der Nähe des Podiums, und nach einiger Zeit verlas der Agent ihren Namen unter den Angeworbenen. Guſtav erlebte mit Staunen, wie flott hier das Geſchäft des Werbers ging. Freilich, in Wörmsbach lagen die Verhält¬ niſſe auch anders, als bei ihnen in Halbenau. Wörmsbach und ſeine Bewohner genoſſen nicht gerade den beſten Ruf in der Nachbarſchaft. Hier hatte es urſprünglich viele wohlhabende und ſelbſtändige Bauern gegeben. Eine Zeit lang nahm der Ort einen Aufſchwung, der die Nachbardörfer in Schatten ſtellte. Aber die junge Generation hatte angefangen, auf

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/251>, abgerufen am 24.11.2024.