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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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teresse an dem Untergange seines Schwagers haben, fragte
man sich unwillkürlich. Wollte er das Gut aus der Subhasta¬
tion billig erstehen? Und wozu sollte er, als Besitzer einer
großen Gastwirtschaft, sich mit so bedeutendem Grundbesitz be¬
lasten? --

In der Gerichtsstube begannen sich von früh neun Uhr
ab einzelne Leute einzufinden. Meist waren es Neugierige,
Gerichtsbummler, die selten bei solchen Anlässen fehlen.

Die eigentlichen Interessenten saßen drüben im Löwen.
Der Gasthof lebte geradezu von den Gerichtsverhandlungen.
Denn dort pflegten vor und nach den Terminen Freund und
Feind einzukehren. Dort stärkten sich die Parteien zu schwerem
Gange. Dort tranken Richter, Staatsanwalt, Verteidiger,
Zeugen und Schöffen ihren Schoppen in derselben Stube und
vom nämlichen Fasse, nachdem sie sich drüben vielleicht im
Rechtsstreite bis auf's Messer befehdet hatten.

Auch Samuel Harrassowitz trank hier sein Bier. Er saß,
wie gewöhnlich, auf seinem Platze am Fenster, von dem aus
er den schmalen Platz zwischen Gasthof und Gerichtsgebäude
überblicken konnte.

Edmund Schmeiß saß neben dem Händler. Er trug einen
neuen Anzug von hauptstädtischem Schnitt zur Schau, den er
sich bei seinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte anfertigen
lassen. Er bestellte sich einen Cognac, "aber fine champagne,
garcon!" fügte er näselnd hinzu.

Jetzt traten zwei Herren ein. Der Bankier Isidor Schön¬
berger, fett, mit weißem Gesicht und um so schwärzerem Haar.
Bei ihm war Bruno Riesenthal, der junge Advokat, der sich
kürzlich in dem Städtchen niedergelassen und seiner Fixigkeit
wegen hier bereits eine nahmhafte Praxis gefunden hatte. Die
Herren schienen einander sämtlich gut zu kennen. Zum Gruße
zwinkerten sie einander nur mit den schlauen Augen zu. Schön¬
berger setzte sich mit verdrossenem Gesicht. Riesenthal kramte
in seiner Advokatenmappe. Die Unterhaltung wurde halblaut
geführt, denn an den Nebentischen saßen Leute, deren man
nicht sicher war.

tereſſe an dem Untergange ſeines Schwagers haben, fragte
man ſich unwillkürlich. Wollte er das Gut aus der Subhaſta¬
tion billig erſtehen? Und wozu ſollte er, als Beſitzer einer
großen Gaſtwirtſchaft, ſich mit ſo bedeutendem Grundbeſitz be¬
laſten? —

In der Gerichtsſtube begannen ſich von früh neun Uhr
ab einzelne Leute einzufinden. Meiſt waren es Neugierige,
Gerichtsbummler, die ſelten bei ſolchen Anläſſen fehlen.

Die eigentlichen Intereſſenten ſaßen drüben im Löwen.
Der Gaſthof lebte geradezu von den Gerichtsverhandlungen.
Denn dort pflegten vor und nach den Terminen Freund und
Feind einzukehren. Dort ſtärkten ſich die Parteien zu ſchwerem
Gange. Dort tranken Richter, Staatsanwalt, Verteidiger,
Zeugen und Schöffen ihren Schoppen in derſelben Stube und
vom nämlichen Faſſe, nachdem ſie ſich drüben vielleicht im
Rechtsſtreite bis auf's Meſſer befehdet hatten.

Auch Samuel Harraſſowitz trank hier ſein Bier. Er ſaß,
wie gewöhnlich, auf ſeinem Platze am Fenſter, von dem aus
er den ſchmalen Platz zwiſchen Gaſthof und Gerichtsgebäude
überblicken konnte.

Edmund Schmeiß ſaß neben dem Händler. Er trug einen
neuen Anzug von hauptſtädtiſchem Schnitt zur Schau, den er
ſich bei ſeinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte anfertigen
laſſen. Er beſtellte ſich einen Cognac, „aber fine champagne,
garçon!“ fügte er näſelnd hinzu.

Jetzt traten zwei Herren ein. Der Bankier Iſidor Schön¬
berger, fett, mit weißem Geſicht und um ſo ſchwärzerem Haar.
Bei ihm war Bruno Rieſenthal, der junge Advokat, der ſich
kürzlich in dem Städtchen niedergelaſſen und ſeiner Fixigkeit
wegen hier bereits eine nahmhafte Praxis gefunden hatte. Die
Herren ſchienen einander ſämtlich gut zu kennen. Zum Gruße
zwinkerten ſie einander nur mit den ſchlauen Augen zu. Schön¬
berger ſetzte ſich mit verdroſſenem Geſicht. Rieſenthal kramte
in ſeiner Advokatenmappe. Die Unterhaltung wurde halblaut
geführt, denn an den Nebentiſchen ſaßen Leute, deren man
nicht ſicher war.

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[264/0278] tereſſe an dem Untergange ſeines Schwagers haben, fragte man ſich unwillkürlich. Wollte er das Gut aus der Subhaſta¬ tion billig erſtehen? Und wozu ſollte er, als Beſitzer einer großen Gaſtwirtſchaft, ſich mit ſo bedeutendem Grundbeſitz be¬ laſten? — In der Gerichtsſtube begannen ſich von früh neun Uhr ab einzelne Leute einzufinden. Meiſt waren es Neugierige, Gerichtsbummler, die ſelten bei ſolchen Anläſſen fehlen. Die eigentlichen Intereſſenten ſaßen drüben im Löwen. Der Gaſthof lebte geradezu von den Gerichtsverhandlungen. Denn dort pflegten vor und nach den Terminen Freund und Feind einzukehren. Dort ſtärkten ſich die Parteien zu ſchwerem Gange. Dort tranken Richter, Staatsanwalt, Verteidiger, Zeugen und Schöffen ihren Schoppen in derſelben Stube und vom nämlichen Faſſe, nachdem ſie ſich drüben vielleicht im Rechtsſtreite bis auf's Meſſer befehdet hatten. Auch Samuel Harraſſowitz trank hier ſein Bier. Er ſaß, wie gewöhnlich, auf ſeinem Platze am Fenſter, von dem aus er den ſchmalen Platz zwiſchen Gaſthof und Gerichtsgebäude überblicken konnte. Edmund Schmeiß ſaß neben dem Händler. Er trug einen neuen Anzug von hauptſtädtiſchem Schnitt zur Schau, den er ſich bei ſeinem letzten Aufenthalt in Berlin hatte anfertigen laſſen. Er beſtellte ſich einen Cognac, „aber fine champagne, garçon!“ fügte er näſelnd hinzu. Jetzt traten zwei Herren ein. Der Bankier Iſidor Schön¬ berger, fett, mit weißem Geſicht und um ſo ſchwärzerem Haar. Bei ihm war Bruno Rieſenthal, der junge Advokat, der ſich kürzlich in dem Städtchen niedergelaſſen und ſeiner Fixigkeit wegen hier bereits eine nahmhafte Praxis gefunden hatte. Die Herren ſchienen einander ſämtlich gut zu kennen. Zum Gruße zwinkerten ſie einander nur mit den ſchlauen Augen zu. Schön¬ berger ſetzte ſich mit verdroſſenem Geſicht. Rieſenthal kramte in ſeiner Advokatenmappe. Die Unterhaltung wurde halblaut geführt, denn an den Nebentiſchen ſaßen Leute, deren man nicht ſicher war.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/278>, abgerufen am 01.06.2024.