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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Wofür büßte er, welche Sünde hatte er zu sühnen, mit soviel
Elend? Wo lag der Anfang des Unglücks? Wann und
wo hatte er den Schritt gethan, der unvermeidlich das Ver¬
derben nach sich ziehen mußte? War es nicht vielmehr eine
Kette von tausend winzigen Gliedern, ein ganzes Netz von un¬
sichtbaren Maschen, an dem er Zeit seines Lebens unbewußt ge¬
arbeitet, und das ihn jetzt verstrickte zu unrettbarem Untergange?

Oder, lag die Schuld nicht tiefer und ferner? Reichte sie
nicht zurück, über die sechzig Jahre dieses Lebens, in die Zeiten
der Väter und Vorväter?

Hatte Traugott Büttner nicht das Gut aus dem väter¬
lichen Erbe erstanden unter Bedingungen, die für ihn den Er¬
folg von vornherein unterbanden! War das nicht der an¬
fangs kaum beachtete Riß, welcher am Ende zum Zusammen¬
bruch des Gebäudes führte; der scheinbar unbedeutende Rechen¬
fehler, der, von Jahr zu Jahr weiter geführt, schließlich das
Ergebnis der ganzen Rechnung falsch ausfallen ließ! Oder
hatte Leberecht Büttner, dieser vorsichtige Wirt und Mehrer
des Vermögens, etwa selbst den Grund zum Untergange des
Familiengutes gelegt, als er dessen Grenzen erweiterte, neues
Land zum ererbten hinzuerwarb? Hatte er damit vielleicht
dem Ganzen eine ungesunde Entwickelung, einen allzu großartigen
Zuschnitt, gegeben; hätte er nicht, statt auf Erweiterung des
Besitzes zu sinnen, lieber das einmal Besessene so ertragreich
wie möglich gestalten sollen? Hatte er nicht durch diese Ver¬
rückung der Verhältnisse seinem Nachfolger eine gefahrvolle
Erbschaft hinterlassen, doppelt gefahrvoll, wenn dieser Nach¬
folger ihm nicht gleichkam an Einsicht und Rührigkeit?!

Oder, lag das Versehen nicht außerhalb der Familien¬
geschichte überhaupt! Waren es nicht vielmehr die Verhältnisse,
die Entwickelung, der Gang der Weltereignisse, die auch auf
dieses winzige Zweiglein am großen Baum des Volkes gewirkt
hatten? Stand nicht auch dieser kleine Ausschnitt aus dem
Menschheitsganzen unter den Gesetzen des Prozesses von Wer¬
den und Vergehen, dem das Völkerleben wie die Geschichte der
Familien und des einzelnen unterworfen sind! --

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Wofür büßte er, welche Sünde hatte er zu ſühnen, mit ſoviel
Elend? Wo lag der Anfang des Unglücks? Wann und
wo hatte er den Schritt gethan, der unvermeidlich das Ver¬
derben nach ſich ziehen mußte? War es nicht vielmehr eine
Kette von tauſend winzigen Gliedern, ein ganzes Netz von un¬
ſichtbaren Maſchen, an dem er Zeit ſeines Lebens unbewußt ge¬
arbeitet, und das ihn jetzt verſtrickte zu unrettbarem Untergange?

Oder, lag die Schuld nicht tiefer und ferner? Reichte ſie
nicht zurück, über die ſechzig Jahre dieſes Lebens, in die Zeiten
der Väter und Vorväter?

Hatte Traugott Büttner nicht das Gut aus dem väter¬
lichen Erbe erſtanden unter Bedingungen, die für ihn den Er¬
folg von vornherein unterbanden! War das nicht der an¬
fangs kaum beachtete Riß, welcher am Ende zum Zuſammen¬
bruch des Gebäudes führte; der ſcheinbar unbedeutende Rechen¬
fehler, der, von Jahr zu Jahr weiter geführt, ſchließlich das
Ergebnis der ganzen Rechnung falſch ausfallen ließ! Oder
hatte Leberecht Büttner, dieſer vorſichtige Wirt und Mehrer
des Vermögens, etwa ſelbſt den Grund zum Untergange des
Familiengutes gelegt, als er deſſen Grenzen erweiterte, neues
Land zum ererbten hinzuerwarb? Hatte er damit vielleicht
dem Ganzen eine ungeſunde Entwickelung, einen allzu großartigen
Zuſchnitt, gegeben; hätte er nicht, ſtatt auf Erweiterung des
Beſitzes zu ſinnen, lieber das einmal Beſeſſene ſo ertragreich
wie möglich geſtalten ſollen? Hatte er nicht durch dieſe Ver¬
rückung der Verhältniſſe ſeinem Nachfolger eine gefahrvolle
Erbſchaft hinterlaſſen, doppelt gefahrvoll, wenn dieſer Nach¬
folger ihm nicht gleichkam an Einſicht und Rührigkeit?!

Oder, lag das Verſehen nicht außerhalb der Familien¬
geſchichte überhaupt! Waren es nicht vielmehr die Verhältniſſe,
die Entwickelung, der Gang der Weltereigniſſe, die auch auf
dieſes winzige Zweiglein am großen Baum des Volkes gewirkt
hatten? Stand nicht auch dieſer kleine Ausſchnitt aus dem
Menſchheitsganzen unter den Geſetzen des Prozeſſes von Wer¬
den und Vergehen, dem das Völkerleben wie die Geſchichte der
Familien und des einzelnen unterworfen ſind! —

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[275/0289] Wofür büßte er, welche Sünde hatte er zu ſühnen, mit ſoviel Elend? Wo lag der Anfang des Unglücks? Wann und wo hatte er den Schritt gethan, der unvermeidlich das Ver¬ derben nach ſich ziehen mußte? War es nicht vielmehr eine Kette von tauſend winzigen Gliedern, ein ganzes Netz von un¬ ſichtbaren Maſchen, an dem er Zeit ſeines Lebens unbewußt ge¬ arbeitet, und das ihn jetzt verſtrickte zu unrettbarem Untergange? Oder, lag die Schuld nicht tiefer und ferner? Reichte ſie nicht zurück, über die ſechzig Jahre dieſes Lebens, in die Zeiten der Väter und Vorväter? Hatte Traugott Büttner nicht das Gut aus dem väter¬ lichen Erbe erſtanden unter Bedingungen, die für ihn den Er¬ folg von vornherein unterbanden! War das nicht der an¬ fangs kaum beachtete Riß, welcher am Ende zum Zuſammen¬ bruch des Gebäudes führte; der ſcheinbar unbedeutende Rechen¬ fehler, der, von Jahr zu Jahr weiter geführt, ſchließlich das Ergebnis der ganzen Rechnung falſch ausfallen ließ! Oder hatte Leberecht Büttner, dieſer vorſichtige Wirt und Mehrer des Vermögens, etwa ſelbſt den Grund zum Untergange des Familiengutes gelegt, als er deſſen Grenzen erweiterte, neues Land zum ererbten hinzuerwarb? Hatte er damit vielleicht dem Ganzen eine ungeſunde Entwickelung, einen allzu großartigen Zuſchnitt, gegeben; hätte er nicht, ſtatt auf Erweiterung des Beſitzes zu ſinnen, lieber das einmal Beſeſſene ſo ertragreich wie möglich geſtalten ſollen? Hatte er nicht durch dieſe Ver¬ rückung der Verhältniſſe ſeinem Nachfolger eine gefahrvolle Erbſchaft hinterlaſſen, doppelt gefahrvoll, wenn dieſer Nach¬ folger ihm nicht gleichkam an Einſicht und Rührigkeit?! Oder, lag das Verſehen nicht außerhalb der Familien¬ geſchichte überhaupt! Waren es nicht vielmehr die Verhältniſſe, die Entwickelung, der Gang der Weltereigniſſe, die auch auf dieſes winzige Zweiglein am großen Baum des Volkes gewirkt hatten? Stand nicht auch dieſer kleine Ausſchnitt aus dem Menſchheitsganzen unter den Geſetzen des Prozeſſes von Wer¬ den und Vergehen, dem das Völkerleben wie die Geſchichte der Familien und des einzelnen unterworfen ſind! — 18*

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/289>, abgerufen am 24.11.2024.