kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen fest¬ haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz besondere Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte sie, mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund, trage die Gewähr eines ganz besonderen Segens in sich. Nun durften sie sich mit gutem Gewissen lieb haben; während der Genuß bisher, so süß er auch gewesen, doch immer den Nach¬ geschmack eines Vorwurfs gehabt hatte.
In diesen Erwartungen schien sich die gute Seele ge¬ täuscht zu haben. Gustav war ihr fremder geworden, als er ihr zuvor gewesen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen, daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬ freundliche Abfertigung gehabt hätte!
Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er mit einer, selbst noch im Schlafe düster verdrossenen Miene, in seinem Bette lag. Zu wecken wagte sie ihn nicht. Durch ihren Kummer wäre sie ihm nur lästig gefallen. Er war ja selbst nicht glücklich. Daß er so häßlich gegen sie war, kam nur davon her, daß er so viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe wollte sie ja alles ertragen, selbst die Entfremdung von ihm.
Pauline verschloß ihren Kummer ganz in sich, versteckte ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein lächelndes Angesicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus, den die Vielgeschäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, sah weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen waren.
Sie sorgte dafür, daß er alles so gut finden möchte, wie sie es herzurichten im stande war: das Bett, die Kleider, das Essen. All ihre große zurückgewiesene Frauenliebe wandte sie, in Ermangelung eines besseren, den Dingen zu, die ihn umgaben.
So vergingen die ersten Wochen in der Fremde.
Eines Tages gab es eine unangenehme Überraschung für den Aufseher: Rogalla, der Pole, war verschwunden. Seinen Arbeitsgenossen fehlten verschiedene Kleidungsstücke, und Häschke machte die Entdeckung, daß seine Vorratskammer um eine Wurst und zwei Speckseiten ärmer war.
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kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen feſt¬ haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz beſondere Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte ſie, mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund, trage die Gewähr eines ganz beſonderen Segens in ſich. Nun durften ſie ſich mit gutem Gewiſſen lieb haben; während der Genuß bisher, ſo ſüß er auch geweſen, doch immer den Nach¬ geſchmack eines Vorwurfs gehabt hatte.
In dieſen Erwartungen ſchien ſich die gute Seele ge¬ täuſcht zu haben. Guſtav war ihr fremder geworden, als er ihr zuvor geweſen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen, daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬ freundliche Abfertigung gehabt hätte!
Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er mit einer, ſelbſt noch im Schlafe düſter verdroſſenen Miene, in ſeinem Bette lag. Zu wecken wagte ſie ihn nicht. Durch ihren Kummer wäre ſie ihm nur läſtig gefallen. Er war ja ſelbſt nicht glücklich. Daß er ſo häßlich gegen ſie war, kam nur davon her, daß er ſo viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe wollte ſie ja alles ertragen, ſelbſt die Entfremdung von ihm.
Pauline verſchloß ihren Kummer ganz in ſich, verſteckte ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein lächelndes Angeſicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus, den die Vielgeſchäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, ſah weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen waren.
Sie ſorgte dafür, daß er alles ſo gut finden möchte, wie ſie es herzurichten im ſtande war: das Bett, die Kleider, das Eſſen. All ihre große zurückgewieſene Frauenliebe wandte ſie, in Ermangelung eines beſſeren, den Dingen zu, die ihn umgaben.
So vergingen die erſten Wochen in der Fremde.
Eines Tages gab es eine unangenehme Überraſchung für den Aufſeher: Rogalla, der Pole, war verſchwunden. Seinen Arbeitsgenoſſen fehlten verſchiedene Kleidungsſtücke, und Häſchke machte die Entdeckung, daß ſeine Vorratskammer um eine Wurſt und zwei Speckſeiten ärmer war.
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kind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen feſt¬
haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz beſondere
Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte ſie,
mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund,
trage die Gewähr eines ganz beſonderen Segens in ſich. Nun
durften ſie ſich mit gutem Gewiſſen lieb haben; während der
Genuß bisher, ſo ſüß er auch geweſen, doch immer den Nach¬
geſchmack eines Vorwurfs gehabt hatte.
In dieſen Erwartungen ſchien ſich die gute Seele ge¬
täuſcht zu haben. Guſtav war ihr fremder geworden, als
er ihr zuvor geweſen. Wann wäre es früher jemals vorgekommen,
daß er für ihre liebevolle Annäherung nur eine kurze un¬
freundliche Abfertigung gehabt hätte!
Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er
mit einer, ſelbſt noch im Schlafe düſter verdroſſenen Miene, in
ſeinem Bette lag. Zu wecken wagte ſie ihn nicht. Durch
ihren Kummer wäre ſie ihm nur läſtig gefallen. Er war ja
ſelbſt nicht glücklich. Daß er ſo häßlich gegen ſie war, kam
nur davon her, daß er ſo viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe
wollte ſie ja alles ertragen, ſelbſt die Entfremdung von ihm.
Pauline verſchloß ihren Kummer ganz in ſich, verſteckte
ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein
lächelndes Angeſicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus,
den die Vielgeſchäftigkeit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, ſah
weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter verborgen
waren.
Sie ſorgte dafür, daß er alles ſo gut finden möchte, wie
ſie es herzurichten im ſtande war: das Bett, die Kleider, das
Eſſen. All ihre große zurückgewieſene Frauenliebe wandte ſie,
in Ermangelung eines beſſeren, den Dingen zu, die ihn umgaben.
So vergingen die erſten Wochen in der Fremde.
Eines Tages gab es eine unangenehme Überraſchung für
den Aufſeher: Rogalla, der Pole, war verſchwunden. Seinen
Arbeitsgenoſſen fehlten verſchiedene Kleidungsſtücke, und Häſchke
machte die Entdeckung, daß ſeine Vorratskammer um eine
Wurſt und zwei Speckſeiten ärmer war.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/305>, abgerufen am 22.11.2024.
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