Arbeitseinstellung doch bedenklich. Häschke hatte nicht Unrecht, wenn er ihm hohnlachend vorwarf, ihm säße noch die "Vorge¬ gesetztenangst" vom Militär her in den Gliedern. Der Plan, die Arbeit niederzulegen, kam Gustav ungeheuerlich vor; das grenzte an Desertieren, an Meuterei. Er wollte und konnte so etwas nicht gutheißen.
Aber, Häschke stellte ihm die Sache mit beredtem Munde noch einmal vor: man war in seinem guten Rechte. Der Inspektor war es, welcher den Kontrakt brechen wollte, nicht sie. Wenn sie sich hierin nachgiebig zeigten, würden bald noch andere ärgere Übergriffe von Seiten des Arbeitsgebers und seiner Beamtenschaft erfolgen. Es handele sich hier nicht blos um die paar Groschen, um deretwillen der Streit entbrannt war, sondern um die Sache. Sie dürften der Ehre halber nicht klein beigeben, denn das könnte aussehen, als hätten sie Furcht. Der Aufseher aber müßte in erster Linie für seine Leute und ihre Rechte eintreten, denn nur in diesem Vertrauen wären sie ihm hierher gefolgt. Im Stiche dürfe er sie nicht lassen. --
Mit solchen, aus Gustavs Ehrgefühl berechneten Gründen, kam Häschke zu seinem Ziele. Im Stiche lassen, wolle er sie nimmermehr, erklärte der Aufseher. Und Ungerechtigkeit würde er nicht dulden.
"Hurra, jetzt machen wir ,Strikke'!" rief Häschkekarl.
Er wisse genau, wie dergleichen gemacht werden müsse, behauptete er. Wenn die Arbeiter nur wüßten, was sie woll¬ ten, und unter einander fest hielten, dann könne es gar nicht fehlen, dann müßten schließlich die Aussauger, die Brot¬ herren, klein beigeben. Dann diktiere der Arbeitnehmer seine Forderungen. Häschke nannte das mit geheimnisvoller Miene: "Boykott"!
Er hielt eine Art von Ansprache an die Leute, die gespickt war mit hochtrabenden Redensarten aus unverdauten Zeitungsartikeln. Seiner Zuhörerschaft imponierte er mit diesen dunklen Wendungen gewaltig. Je weniger sie verstanden, desto stärker fühlten sie sich überzeugt. Die Mädchen hatte er sowieso auf seiner Seite, denn die waren dem Schwerenöter alle zugethan. Selbst die
Arbeitseinſtellung doch bedenklich. Häſchke hatte nicht Unrecht, wenn er ihm hohnlachend vorwarf, ihm ſäße noch die „Vorge¬ geſetztenangſt“ vom Militär her in den Gliedern. Der Plan, die Arbeit niederzulegen, kam Guſtav ungeheuerlich vor; das grenzte an Deſertieren, an Meuterei. Er wollte und konnte ſo etwas nicht gutheißen.
Aber, Häſchke ſtellte ihm die Sache mit beredtem Munde noch einmal vor: man war in ſeinem guten Rechte. Der Inſpektor war es, welcher den Kontrakt brechen wollte, nicht ſie. Wenn ſie ſich hierin nachgiebig zeigten, würden bald noch andere ärgere Übergriffe von Seiten des Arbeitsgebers und ſeiner Beamtenſchaft erfolgen. Es handele ſich hier nicht blos um die paar Groſchen, um deretwillen der Streit entbrannt war, ſondern um die Sache. Sie dürften der Ehre halber nicht klein beigeben, denn das könnte ausſehen, als hätten ſie Furcht. Der Aufſeher aber müßte in erſter Linie für ſeine Leute und ihre Rechte eintreten, denn nur in dieſem Vertrauen wären ſie ihm hierher gefolgt. Im Stiche dürfe er ſie nicht laſſen. —
Mit ſolchen, aus Guſtavs Ehrgefühl berechneten Gründen, kam Häſchke zu ſeinem Ziele. Im Stiche laſſen, wolle er ſie nimmermehr, erklärte der Aufſeher. Und Ungerechtigkeit würde er nicht dulden.
„Hurra, jetzt machen wir ‚Strikke‘!“ rief Häſchkekarl.
Er wiſſe genau, wie dergleichen gemacht werden müſſe, behauptete er. Wenn die Arbeiter nur wüßten, was ſie woll¬ ten, und unter einander feſt hielten, dann könne es gar nicht fehlen, dann müßten ſchließlich die Ausſauger, die Brot¬ herren, klein beigeben. Dann diktiere der Arbeitnehmer ſeine Forderungen. Häſchke nannte das mit geheimnisvoller Miene: „Boykott“!
Er hielt eine Art von Anſprache an die Leute, die geſpickt war mit hochtrabenden Redensarten aus unverdauten Zeitungsartikeln. Seiner Zuhörerſchaft imponierte er mit dieſen dunklen Wendungen gewaltig. Je weniger ſie verſtanden, deſto ſtärker fühlten ſie ſich überzeugt. Die Mädchen hatte er ſowieſo auf ſeiner Seite, denn die waren dem Schwerenöter alle zugethan. Selbſt die
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Arbeitseinſtellung doch bedenklich. Häſchke hatte nicht Unrecht,
wenn er ihm hohnlachend vorwarf, ihm ſäße noch die „Vorge¬
geſetztenangſt“ vom Militär her in den Gliedern. Der Plan,
die Arbeit niederzulegen, kam Guſtav ungeheuerlich vor; das
grenzte an Deſertieren, an Meuterei. Er wollte und konnte
ſo etwas nicht gutheißen.
Aber, Häſchke ſtellte ihm die Sache mit beredtem Munde
noch einmal vor: man war in ſeinem guten Rechte. Der
Inſpektor war es, welcher den Kontrakt brechen wollte, nicht
ſie. Wenn ſie ſich hierin nachgiebig zeigten, würden bald
noch andere ärgere Übergriffe von Seiten des Arbeitsgebers und
ſeiner Beamtenſchaft erfolgen. Es handele ſich hier nicht blos
um die paar Groſchen, um deretwillen der Streit entbrannt
war, ſondern um die Sache. Sie dürften der Ehre halber nicht
klein beigeben, denn das könnte ausſehen, als hätten ſie Furcht.
Der Aufſeher aber müßte in erſter Linie für ſeine Leute und
ihre Rechte eintreten, denn nur in dieſem Vertrauen wären ſie
ihm hierher gefolgt. Im Stiche dürfe er ſie nicht laſſen. —
Mit ſolchen, aus Guſtavs Ehrgefühl berechneten Gründen,
kam Häſchke zu ſeinem Ziele. Im Stiche laſſen, wolle er ſie
nimmermehr, erklärte der Aufſeher. Und Ungerechtigkeit würde
er nicht dulden.
„Hurra, jetzt machen wir ‚Strikke‘!“ rief Häſchkekarl.
Er wiſſe genau, wie dergleichen gemacht werden müſſe,
behauptete er. Wenn die Arbeiter nur wüßten, was ſie woll¬
ten, und unter einander feſt hielten, dann könne es gar
nicht fehlen, dann müßten ſchließlich die Ausſauger, die Brot¬
herren, klein beigeben. Dann diktiere der Arbeitnehmer ſeine
Forderungen. Häſchke nannte das mit geheimnisvoller Miene:
„Boykott“!
Er hielt eine Art von Anſprache an die Leute, die geſpickt war
mit hochtrabenden Redensarten aus unverdauten Zeitungsartikeln.
Seiner Zuhörerſchaft imponierte er mit dieſen dunklen Wendungen
gewaltig. Je weniger ſie verſtanden, deſto ſtärker fühlten ſie
ſich überzeugt. Die Mädchen hatte er ſowieſo auf ſeiner Seite,
denn die waren dem Schwerenöter alle zugethan. Selbſt die
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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