waren diese Menschen nicht. Nicht Bosheit und Niedertracht beherrschte sie; sie trieb ein Streben, das auch ihn beseelte, wie jeden anderen Sterblichen: das Verlangen nach Besserung.
Inzwischen hatte ein neuer Redner das Wort erhalten. Es war ein kleiner kränklich aussehender Mann. Er sprach mit heiserer Stimme, die dort, wo Gustav saß, kaum zu ver¬ nehmen war. Er schien erregt und leidenschaftlich, mit ein und derselben, immer wiederholten hämmernden Handbewegung stieß er seine abgerissene rauhe Rede hervor. Etwas von "Kapi¬ talismus" und "Bourgeoisregierung" drang an Gustavs Ohr.
An den hinteren Tischen wurde man unruhig. "Lauter!" rief jemand dem Redner zu. Der Mann erhob die Stimme und sagte nunmehr deutlich vernehmbar: "Wie kann man von Behörden, oder Regierung, Abstellung unseres Notstandes er¬ warten, wenn die auf's engste verbunden sind mit der blut¬ saugerischen Unternehmerclique, ja, wenn die nur die Hand¬ langer sind des Kapitalismus . . ."
Während er diese Worte in die Versammlung rief, hatte sich der Polizeioffizier erhoben. Er setzte den Helm auf und erklärte die Versammlung für aufgelöst.
Die meisten Anwesenden waren gleichzeitig von ihren Plätzen aufgesprungen. Das Rufen von tausend entrüsteten Männern ertönte wie ein einziger Schrei des Zornes. Ein Sturm, ein Tosen, erhob sich, in dem die einzelne Stimme ver¬ schlungen wurde, wie die kleinen Wellen von der zur Flut¬ welle aufgepeitschten Brandung.
Gustav erbebte. Was würde jetzt werden! In den Ge¬ sichtern umher las er Ingrimm und trotzige Entschlossenheit. Was konnte der entfesselten Wut dieser Tausende wider¬ stehen?
Der Polizeioffizier stand unbeweglich vorn auf dem Podium, er musterte das tobende Meer zu seinen Füßen, scheinbar unerschrocken. Der Vorsitzende verschaffte sich durch Winke und Zeichen soviel Ruhe, daß seine Aufforderung, ruhig auseinander zu gehen, gehört ward.
Zwar wurden Fäuste geschüttelt, manch haßerfüllter Blick
waren dieſe Menſchen nicht. Nicht Bosheit und Niedertracht beherrſchte ſie; ſie trieb ein Streben, das auch ihn beſeelte, wie jeden anderen Sterblichen: das Verlangen nach Beſſerung.
Inzwiſchen hatte ein neuer Redner das Wort erhalten. Es war ein kleiner kränklich ausſehender Mann. Er ſprach mit heiſerer Stimme, die dort, wo Guſtav ſaß, kaum zu ver¬ nehmen war. Er ſchien erregt und leidenſchaftlich, mit ein und derſelben, immer wiederholten hämmernden Handbewegung ſtieß er ſeine abgeriſſene rauhe Rede hervor. Etwas von „Kapi¬ talismus“ und „Bourgeoisregierung“ drang an Guſtavs Ohr.
An den hinteren Tiſchen wurde man unruhig. „Lauter!“ rief jemand dem Redner zu. Der Mann erhob die Stimme und ſagte nunmehr deutlich vernehmbar: „Wie kann man von Behörden, oder Regierung, Abſtellung unſeres Notſtandes er¬ warten, wenn die auf's engſte verbunden ſind mit der blut¬ ſaugeriſchen Unternehmerclique, ja, wenn die nur die Hand¬ langer ſind des Kapitalismus . . .“
Während er dieſe Worte in die Verſammlung rief, hatte ſich der Polizeioffizier erhoben. Er ſetzte den Helm auf und erklärte die Verſammlung für aufgelöſt.
Die meiſten Anweſenden waren gleichzeitig von ihren Plätzen aufgeſprungen. Das Rufen von tauſend entrüſteten Männern ertönte wie ein einziger Schrei des Zornes. Ein Sturm, ein Toſen, erhob ſich, in dem die einzelne Stimme ver¬ ſchlungen wurde, wie die kleinen Wellen von der zur Flut¬ welle aufgepeitſchten Brandung.
Guſtav erbebte. Was würde jetzt werden! In den Ge¬ ſichtern umher las er Ingrimm und trotzige Entſchloſſenheit. Was konnte der entfeſſelten Wut dieſer Tauſende wider¬ ſtehen?
Der Polizeioffizier ſtand unbeweglich vorn auf dem Podium, er muſterte das tobende Meer zu ſeinen Füßen, ſcheinbar unerſchrocken. Der Vorſitzende verſchaffte ſich durch Winke und Zeichen ſoviel Ruhe, daß ſeine Aufforderung, ruhig auseinander zu gehen, gehört ward.
Zwar wurden Fäuſte geſchüttelt, manch haßerfüllter Blick
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waren dieſe Menſchen nicht. Nicht Bosheit und Niedertracht
beherrſchte ſie; ſie trieb ein Streben, das auch ihn beſeelte,
wie jeden anderen Sterblichen: das Verlangen nach Beſſerung.
Inzwiſchen hatte ein neuer Redner das Wort erhalten.
Es war ein kleiner kränklich ausſehender Mann. Er ſprach
mit heiſerer Stimme, die dort, wo Guſtav ſaß, kaum zu ver¬
nehmen war. Er ſchien erregt und leidenſchaftlich, mit ein
und derſelben, immer wiederholten hämmernden Handbewegung
ſtieß er ſeine abgeriſſene rauhe Rede hervor. Etwas von „Kapi¬
talismus“ und „Bourgeoisregierung“ drang an Guſtavs Ohr.
An den hinteren Tiſchen wurde man unruhig. „Lauter!“
rief jemand dem Redner zu. Der Mann erhob die Stimme
und ſagte nunmehr deutlich vernehmbar: „Wie kann man von
Behörden, oder Regierung, Abſtellung unſeres Notſtandes er¬
warten, wenn die auf's engſte verbunden ſind mit der blut¬
ſaugeriſchen Unternehmerclique, ja, wenn die nur die Hand¬
langer ſind des Kapitalismus . . .“
Während er dieſe Worte in die Verſammlung rief, hatte
ſich der Polizeioffizier erhoben. Er ſetzte den Helm auf und
erklärte die Verſammlung für aufgelöſt.
Die meiſten Anweſenden waren gleichzeitig von ihren
Plätzen aufgeſprungen. Das Rufen von tauſend entrüſteten
Männern ertönte wie ein einziger Schrei des Zornes. Ein
Sturm, ein Toſen, erhob ſich, in dem die einzelne Stimme ver¬
ſchlungen wurde, wie die kleinen Wellen von der zur Flut¬
welle aufgepeitſchten Brandung.
Guſtav erbebte. Was würde jetzt werden! In den Ge¬
ſichtern umher las er Ingrimm und trotzige Entſchloſſenheit.
Was konnte der entfeſſelten Wut dieſer Tauſende wider¬
ſtehen?
Der Polizeioffizier ſtand unbeweglich vorn auf dem
Podium, er muſterte das tobende Meer zu ſeinen Füßen,
ſcheinbar unerſchrocken. Der Vorſitzende verſchaffte ſich durch
Winke und Zeichen ſoviel Ruhe, daß ſeine Aufforderung, ruhig
auseinander zu gehen, gehört ward.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/384>, abgerufen am 24.11.2024.
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