Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

das Maß zum Überlaufen. Seit Menschengedenken hatten im
Büttnerschen Hause die Frauen diese Arbeit versehen. Nun
wollte das junge Ding hier sich auf einmal gegen die altherge¬
brachte gute Sitte auflehnen! -- Diesmal machte der Bauer
von seinem hausväterlichen Rechte Gebrauch. Er holte den
Haselstock aus der Ecke hervor, den Ernestine aus der Jugend¬
zeit gar wohl kannte; der hatte auf ihrem und der Geschwister
Rücken gar manchen Tanz aufgeführt. Das Mädchen war
klug genug, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Sie
kannte den Vater in der Wut. Schleunigst machte sie sich
an die ekelhafte Arbeit; der Alte stand mit dem Stocke da¬
neben, als Wache, bis sie die ganze Grube ausgetragen
hatte.

Ernestinens Antwort auf diese Demütigung war, daß
sie, ohne ein Wort zu sagen, aus dem väterlichen Hause
wegzog; ihre sieben Sachen nahm sie mit sich. Sie wohnte
fortan im Dorfe zur Miete. Der Vater dürfe sie nicht zwingen,
bei ihm zu leben, erklärte sie, da er ihr nichts zum Leben
gebe. --

So fand Gustav die Verhältnisse, als er nach Halbenau
zurückkehrte.

Er wohnte einstweilen mit bei Frau Katschner. Sein erster
Gang, nachdem er Frau und Kind begrüßt hatte, galt dem
Bauerngute.

Was hatte sich da alles verändert seit dem Frühjahre, wo
er in die Fremde gegangen war: Das Gut in fremde Hände
übergegangen, zerstückelt, ausgeraubt! Scheune, Keller, Stall
leer! Im Hause alles verwahrlost und verwildert! Die Mutter
gestorben! Dazu die Kinder alle fortgezogen! Karl mit seiner
Familie in ein anderes Dorf, Toni in die Stadt. Und nun
zum letzten noch Ernestinens Auflehnung!

Gustav, der den Vater seit einem halben Jahr nicht ge¬
sehen, fand ihn furchtbar verändert. Der Alte war teilnahms¬
los und stumpf geworden. Selbst die Rückkehr seines
Lieblingssohnes riß ihn nicht aus seinem dumpfen Hinbrüten.

Sein Leben war schlechter, als das eines Hundes. Seit

das Maß zum Überlaufen. Seit Menſchengedenken hatten im
Büttnerſchen Hauſe die Frauen dieſe Arbeit verſehen. Nun
wollte das junge Ding hier ſich auf einmal gegen die altherge¬
brachte gute Sitte auflehnen! — Diesmal machte der Bauer
von ſeinem hausväterlichen Rechte Gebrauch. Er holte den
Haſelſtock aus der Ecke hervor, den Erneſtine aus der Jugend¬
zeit gar wohl kannte; der hatte auf ihrem und der Geſchwiſter
Rücken gar manchen Tanz aufgeführt. Das Mädchen war
klug genug, es nicht zum Äußerſten kommen zu laſſen. Sie
kannte den Vater in der Wut. Schleunigſt machte ſie ſich
an die ekelhafte Arbeit; der Alte ſtand mit dem Stocke da¬
neben, als Wache, bis ſie die ganze Grube ausgetragen
hatte.

Erneſtinens Antwort auf dieſe Demütigung war, daß
ſie, ohne ein Wort zu ſagen, aus dem väterlichen Hauſe
wegzog; ihre ſieben Sachen nahm ſie mit ſich. Sie wohnte
fortan im Dorfe zur Miete. Der Vater dürfe ſie nicht zwingen,
bei ihm zu leben, erklärte ſie, da er ihr nichts zum Leben
gebe. —

So fand Guſtav die Verhältniſſe, als er nach Halbenau
zurückkehrte.

Er wohnte einſtweilen mit bei Frau Katſchner. Sein erſter
Gang, nachdem er Frau und Kind begrüßt hatte, galt dem
Bauerngute.

Was hatte ſich da alles verändert ſeit dem Frühjahre, wo
er in die Fremde gegangen war: Das Gut in fremde Hände
übergegangen, zerſtückelt, ausgeraubt! Scheune, Keller, Stall
leer! Im Hauſe alles verwahrloſt und verwildert! Die Mutter
geſtorben! Dazu die Kinder alle fortgezogen! Karl mit ſeiner
Familie in ein anderes Dorf, Toni in die Stadt. Und nun
zum letzten noch Erneſtinens Auflehnung!

Guſtav, der den Vater ſeit einem halben Jahr nicht ge¬
ſehen, fand ihn furchtbar verändert. Der Alte war teilnahms¬
los und ſtumpf geworden. Selbſt die Rückkehr ſeines
Lieblingsſohnes riß ihn nicht aus ſeinem dumpfen Hinbrüten.

Sein Leben war ſchlechter, als das eines Hundes. Seit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="380"/>
das Maß zum Überlaufen. Seit Men&#x017F;chengedenken hatten im<lb/>
Büttner&#x017F;chen Hau&#x017F;e die Frauen die&#x017F;e Arbeit ver&#x017F;ehen. Nun<lb/>
wollte das junge Ding hier &#x017F;ich auf einmal gegen die altherge¬<lb/>
brachte gute Sitte auflehnen! &#x2014; Diesmal machte der Bauer<lb/>
von &#x017F;einem hausväterlichen Rechte Gebrauch. Er holte den<lb/>
Ha&#x017F;el&#x017F;tock aus der Ecke hervor, den Erne&#x017F;tine aus der Jugend¬<lb/>
zeit gar wohl kannte; der hatte auf ihrem und der Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter<lb/>
Rücken gar manchen Tanz aufgeführt. Das Mädchen war<lb/>
klug genug, es nicht zum Äußer&#x017F;ten kommen zu la&#x017F;&#x017F;en. Sie<lb/>
kannte den Vater in der Wut. Schleunig&#x017F;t machte &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
an die ekelhafte Arbeit; der Alte &#x017F;tand mit dem Stocke da¬<lb/>
neben, als Wache, bis &#x017F;ie die ganze Grube ausgetragen<lb/>
hatte.</p><lb/>
          <p>Erne&#x017F;tinens Antwort auf die&#x017F;e Demütigung war, daß<lb/>
&#x017F;ie, ohne ein Wort zu &#x017F;agen, aus dem väterlichen Hau&#x017F;e<lb/>
wegzog; ihre &#x017F;ieben Sachen nahm &#x017F;ie mit &#x017F;ich. Sie wohnte<lb/>
fortan im Dorfe zur Miete. Der Vater dürfe &#x017F;ie nicht zwingen,<lb/>
bei ihm zu leben, erklärte &#x017F;ie, da er ihr nichts zum Leben<lb/>
gebe. &#x2014;</p><lb/>
          <p>So fand Gu&#x017F;tav die Verhältni&#x017F;&#x017F;e, als er nach Halbenau<lb/>
zurückkehrte.</p><lb/>
          <p>Er wohnte ein&#x017F;tweilen mit bei Frau Kat&#x017F;chner. Sein er&#x017F;ter<lb/>
Gang, nachdem er Frau und Kind begrüßt hatte, galt dem<lb/>
Bauerngute.</p><lb/>
          <p>Was hatte &#x017F;ich da alles verändert &#x017F;eit dem Frühjahre, wo<lb/>
er in die Fremde gegangen war: Das Gut in fremde Hände<lb/>
übergegangen, zer&#x017F;tückelt, ausgeraubt! Scheune, Keller, Stall<lb/>
leer! Im Hau&#x017F;e alles verwahrlo&#x017F;t und verwildert! Die Mutter<lb/>
ge&#x017F;torben! Dazu die Kinder alle fortgezogen! Karl mit &#x017F;einer<lb/>
Familie in ein anderes Dorf, Toni in die Stadt. Und nun<lb/>
zum letzten noch Erne&#x017F;tinens Auflehnung!</p><lb/>
          <p>Gu&#x017F;tav, der den Vater &#x017F;eit einem halben Jahr nicht ge¬<lb/>
&#x017F;ehen, fand ihn furchtbar verändert. Der Alte war teilnahms¬<lb/>
los und &#x017F;tumpf geworden. Selb&#x017F;t die Rückkehr &#x017F;eines<lb/>
Lieblings&#x017F;ohnes riß ihn nicht aus &#x017F;einem dumpfen Hinbrüten.</p><lb/>
          <p>Sein Leben war &#x017F;chlechter, als das eines Hundes. Seit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0394] das Maß zum Überlaufen. Seit Menſchengedenken hatten im Büttnerſchen Hauſe die Frauen dieſe Arbeit verſehen. Nun wollte das junge Ding hier ſich auf einmal gegen die altherge¬ brachte gute Sitte auflehnen! — Diesmal machte der Bauer von ſeinem hausväterlichen Rechte Gebrauch. Er holte den Haſelſtock aus der Ecke hervor, den Erneſtine aus der Jugend¬ zeit gar wohl kannte; der hatte auf ihrem und der Geſchwiſter Rücken gar manchen Tanz aufgeführt. Das Mädchen war klug genug, es nicht zum Äußerſten kommen zu laſſen. Sie kannte den Vater in der Wut. Schleunigſt machte ſie ſich an die ekelhafte Arbeit; der Alte ſtand mit dem Stocke da¬ neben, als Wache, bis ſie die ganze Grube ausgetragen hatte. Erneſtinens Antwort auf dieſe Demütigung war, daß ſie, ohne ein Wort zu ſagen, aus dem väterlichen Hauſe wegzog; ihre ſieben Sachen nahm ſie mit ſich. Sie wohnte fortan im Dorfe zur Miete. Der Vater dürfe ſie nicht zwingen, bei ihm zu leben, erklärte ſie, da er ihr nichts zum Leben gebe. — So fand Guſtav die Verhältniſſe, als er nach Halbenau zurückkehrte. Er wohnte einſtweilen mit bei Frau Katſchner. Sein erſter Gang, nachdem er Frau und Kind begrüßt hatte, galt dem Bauerngute. Was hatte ſich da alles verändert ſeit dem Frühjahre, wo er in die Fremde gegangen war: Das Gut in fremde Hände übergegangen, zerſtückelt, ausgeraubt! Scheune, Keller, Stall leer! Im Hauſe alles verwahrloſt und verwildert! Die Mutter geſtorben! Dazu die Kinder alle fortgezogen! Karl mit ſeiner Familie in ein anderes Dorf, Toni in die Stadt. Und nun zum letzten noch Erneſtinens Auflehnung! Guſtav, der den Vater ſeit einem halben Jahr nicht ge¬ ſehen, fand ihn furchtbar verändert. Der Alte war teilnahms¬ los und ſtumpf geworden. Selbſt die Rückkehr ſeines Lieblingsſohnes riß ihn nicht aus ſeinem dumpfen Hinbrüten. Sein Leben war ſchlechter, als das eines Hundes. Seit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/394
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/394>, abgerufen am 16.06.2024.