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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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ihrer Ecke hervorgehumpelt. "Wart ack, wart!" Sie suchte
auf der Komode, dort lag in einem Schächtelchen ein Schlüssel,
mit diesem Schlüssel ging sie zum Spind, schloß es auf und
entnahm dem obersten Brett ein altes Buch mit vielen Ein¬
lagen und Buchzeichen. In dem Buche blätterte sie eine
Weile, bis sie endlich auf das gesuchte Schreiben kam. "Doe
is er!"

Der Büttnerbauer berührte den Brief wie alles Geschriebene
mit besonderer Vorsicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann
schob er ihn dem Sohne hin: "Lase a mal dos, Gustav!"

Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug
rechts oben eine Firma: "C. G. Büttner, Materialwarenhand¬
lung en gros & en detail." Folgte die Ortsbezeichnung.

Gustav sah nach der Unterschrift. Sein eigener Name
stand darunter: Gustav Büttner. Der Briefschreiber war dem¬
nach sein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geschäfte
des alten Karl Leberecht Büttner. Gustav hatte Onkel und
Vetter ein einziges Mal gesehen in seinem Leben, als sie vor
Jahren dem Heimatdorfe einen flüchtigen Besuch von der
Stadt aus abgestattet.

Dieser Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer
Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig ver¬
lassen, als ein großer Thunichtgut. Jahrelang war nichts von
ihm verlautet. Dann tauchte er plötzlich als verheirateter
Mann und Inhaber eines Grünwarengeschäftes in einer mittel¬
großen Stadt der Provinz auf. Inzwischen hatte sich sein Ge¬
schäft zur "Materialwarenhandlung en gros & en detail"
ausgewachsen.

Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere
auf dem Dorfe, hatten so gut wie gar keine Berührungspunkte
mehr. Nur bei der Erbschaftsregulierung, vor nunmehr dreißig
Jahren, war man einander auf kurze Frist wieder einmal näher
getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz ge¬
legentlich etwas von einander gesehen oder gehört.

G. Büttner jun. also, schrieb im Namen seines Vaters,
daß man die Hypothek, welche von der Erbteilung her noch

ihrer Ecke hervorgehumpelt. „Wart ack, wart!“ Sie ſuchte
auf der Komode, dort lag in einem Schächtelchen ein Schlüſſel,
mit dieſem Schlüſſel ging ſie zum Spind, ſchloß es auf und
entnahm dem oberſten Brett ein altes Buch mit vielen Ein¬
lagen und Buchzeichen. In dem Buche blätterte ſie eine
Weile, bis ſie endlich auf das geſuchte Schreiben kam. „Doe
is er!“

Der Büttnerbauer berührte den Brief wie alles Geſchriebene
mit beſonderer Vorſicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann
ſchob er ihn dem Sohne hin: „Laſe a mal dos, Guſtav!“

Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug
rechts oben eine Firma: „C. G. Büttner, Materialwarenhand¬
lung en gros & en detail.“ Folgte die Ortsbezeichnung.

Guſtav ſah nach der Unterſchrift. Sein eigener Name
ſtand darunter: Guſtav Büttner. Der Briefſchreiber war dem¬
nach ſein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geſchäfte
des alten Karl Leberecht Büttner. Guſtav hatte Onkel und
Vetter ein einziges Mal geſehen in ſeinem Leben, als ſie vor
Jahren dem Heimatdorfe einen flüchtigen Beſuch von der
Stadt aus abgeſtattet.

Dieſer Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer
Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig ver¬
laſſen, als ein großer Thunichtgut. Jahrelang war nichts von
ihm verlautet. Dann tauchte er plötzlich als verheirateter
Mann und Inhaber eines Grünwarengeſchäftes in einer mittel¬
großen Stadt der Provinz auf. Inzwiſchen hatte ſich ſein Ge¬
ſchäft zur „Materialwarenhandlung en gros & en detail
ausgewachſen.

Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere
auf dem Dorfe, hatten ſo gut wie gar keine Berührungspunkte
mehr. Nur bei der Erbſchaftsregulierung, vor nunmehr dreißig
Jahren, war man einander auf kurze Friſt wieder einmal näher
getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz ge¬
legentlich etwas von einander geſehen oder gehört.

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daß man die Hypothek, welche von der Erbteilung her noch

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[27/0041] ihrer Ecke hervorgehumpelt. „Wart ack, wart!“ Sie ſuchte auf der Komode, dort lag in einem Schächtelchen ein Schlüſſel, mit dieſem Schlüſſel ging ſie zum Spind, ſchloß es auf und entnahm dem oberſten Brett ein altes Buch mit vielen Ein¬ lagen und Buchzeichen. In dem Buche blätterte ſie eine Weile, bis ſie endlich auf das geſuchte Schreiben kam. „Doe is er!“ Der Büttnerbauer berührte den Brief wie alles Geſchriebene mit beſonderer Vorſicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann ſchob er ihn dem Sohne hin: „Laſe a mal dos, Guſtav!“ Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug rechts oben eine Firma: „C. G. Büttner, Materialwarenhand¬ lung en gros & en detail.“ Folgte die Ortsbezeichnung. Guſtav ſah nach der Unterſchrift. Sein eigener Name ſtand darunter: Guſtav Büttner. Der Briefſchreiber war dem¬ nach ſein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geſchäfte des alten Karl Leberecht Büttner. Guſtav hatte Onkel und Vetter ein einziges Mal geſehen in ſeinem Leben, als ſie vor Jahren dem Heimatdorfe einen flüchtigen Beſuch von der Stadt aus abgeſtattet. Dieſer Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig ver¬ laſſen, als ein großer Thunichtgut. Jahrelang war nichts von ihm verlautet. Dann tauchte er plötzlich als verheirateter Mann und Inhaber eines Grünwarengeſchäftes in einer mittel¬ großen Stadt der Provinz auf. Inzwiſchen hatte ſich ſein Ge¬ ſchäft zur „Materialwarenhandlung en gros & en detail“ ausgewachſen. Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere auf dem Dorfe, hatten ſo gut wie gar keine Berührungspunkte mehr. Nur bei der Erbſchaftsregulierung, vor nunmehr dreißig Jahren, war man einander auf kurze Friſt wieder einmal näher getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz ge¬ legentlich etwas von einander geſehen oder gehört. G. Büttner jun. alſo, ſchrieb im Namen ſeines Vaters, daß man die Hypothek, welche von der Erbteilung her noch

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/41>, abgerufen am 21.11.2024.