den Füßen weggerissen. Wenn sie's gekonnt hätten, sie hätten ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.
Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus sollten sie ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhause zu sehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er seinen Kopf für sich hatte. Mit guten Lehren und Ratschlägen waren sie immer schnell bei der Hand gewesen, aber ihn zu retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete sie alle, die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Gesichter mehr zu sehen brauchte, war ihm ein langersehntes Glück. Sie ließen einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man sich auch verkroch, sie kamen einem nach, überallhin, die geschwätzige neugierige Art. Man mußte schon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu haben. Und nach seinem Tode würden sie wahrscheinlich erst recht klug reden. Das hätte er nicht thun sollen, würden sie sagen. Ein großes Gezeter würden sie anheben. Er kannte sie ja, wie sie waren, kaltherzig und gleichgültig, so lange einer zappelt, und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬ röchelt war, dann kamen sie herbeigelaufen, umstanden das Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.
Aber das sollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja alles nicht mehr! -- Er that, was er für recht hielt. Hier durfte ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit sich selber konnte man anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte einem auch nichts zu befehlen! --
Jetzt war er seinem Ziele schon ganz nahe. Dort am äußersten Feldrande stand der Baum; ein wilder Kirschbaum, schlank gewachsen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬ sammengelesen, lag darunter. Die Krone stand in voller Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬ hinter lag das Büschelgewende.
Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen? Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen schnurgerade ausge¬ richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!
den Füßen weggeriſſen. Wenn ſie's gekonnt hätten, ſie hätten ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.
Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus ſollten ſie ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhauſe zu ſehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er ſeinen Kopf für ſich hatte. Mit guten Lehren und Ratſchlägen waren ſie immer ſchnell bei der Hand geweſen, aber ihn zu retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete ſie alle, die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Geſichter mehr zu ſehen brauchte, war ihm ein langerſehntes Glück. Sie ließen einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man ſich auch verkroch, ſie kamen einem nach, überallhin, die geſchwätzige neugierige Art. Man mußte ſchon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu haben. Und nach ſeinem Tode würden ſie wahrſcheinlich erſt recht klug reden. Das hätte er nicht thun ſollen, würden ſie ſagen. Ein großes Gezeter würden ſie anheben. Er kannte ſie ja, wie ſie waren, kaltherzig und gleichgültig, ſo lange einer zappelt, und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬ röchelt war, dann kamen ſie herbeigelaufen, umſtanden das Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.
Aber das ſollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja alles nicht mehr! — Er that, was er für recht hielt. Hier durfte ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit ſich ſelber konnte man anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte einem auch nichts zu befehlen! —
Jetzt war er ſeinem Ziele ſchon ganz nahe. Dort am äußerſten Feldrande ſtand der Baum; ein wilder Kirſchbaum, ſchlank gewachſen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬ ſammengeleſen, lag darunter. Die Krone ſtand in voller Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬ hinter lag das Büſchelgewende.
Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen? Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen ſchnurgerade ausge¬ richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0438"n="424"/>
den Füßen weggeriſſen. Wenn ſie's gekonnt hätten, ſie hätten<lb/>
ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.</p><lb/><p>Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus ſollten ſie<lb/>
ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht<lb/>
machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhauſe zu<lb/>ſehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er<lb/>ſeinen Kopf für ſich hatte. Mit guten Lehren und Ratſchlägen<lb/>
waren ſie immer ſchnell bei der Hand geweſen, aber ihn zu<lb/>
retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete ſie alle,<lb/>
die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Geſichter mehr zu<lb/>ſehen brauchte, war ihm ein langerſehntes Glück. Sie ließen<lb/>
einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man ſich auch verkroch,<lb/>ſie kamen einem nach, überallhin, die geſchwätzige neugierige Art.<lb/>
Man mußte ſchon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu<lb/>
haben. Und nach ſeinem Tode würden ſie wahrſcheinlich erſt recht<lb/>
klug reden. Das hätte er nicht thun ſollen, würden ſie ſagen.<lb/>
Ein großes Gezeter würden ſie anheben. Er kannte ſie ja,<lb/>
wie ſie waren, kaltherzig und gleichgültig, ſo lange einer zappelt,<lb/>
und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬<lb/>
röchelt war, dann kamen ſie herbeigelaufen, umſtanden das<lb/>
Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.</p><lb/><p>Aber das ſollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja<lb/>
alles nicht mehr! — Er that, was er für recht hielt. Hier durfte<lb/>
ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit ſich ſelber konnte man<lb/>
anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte<lb/>
einem auch nichts zu befehlen! —</p><lb/><p>Jetzt war er ſeinem Ziele ſchon ganz nahe. Dort am<lb/>
äußerſten Feldrande ſtand der Baum; ein wilder Kirſchbaum,<lb/>ſchlank gewachſen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬<lb/>ſammengeleſen, lag darunter. Die Krone ſtand in voller<lb/>
Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬<lb/>
hinter lag das Büſchelgewende.</p><lb/><p>Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen?<lb/>
Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen ſchnurgerade ausge¬<lb/>
richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen<lb/>
hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[424/0438]
den Füßen weggeriſſen. Wenn ſie's gekonnt hätten, ſie hätten
ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.
Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus ſollten ſie
ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht
machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhauſe zu
ſehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er
ſeinen Kopf für ſich hatte. Mit guten Lehren und Ratſchlägen
waren ſie immer ſchnell bei der Hand geweſen, aber ihn zu
retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete ſie alle,
die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Geſichter mehr zu
ſehen brauchte, war ihm ein langerſehntes Glück. Sie ließen
einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man ſich auch verkroch,
ſie kamen einem nach, überallhin, die geſchwätzige neugierige Art.
Man mußte ſchon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu
haben. Und nach ſeinem Tode würden ſie wahrſcheinlich erſt recht
klug reden. Das hätte er nicht thun ſollen, würden ſie ſagen.
Ein großes Gezeter würden ſie anheben. Er kannte ſie ja,
wie ſie waren, kaltherzig und gleichgültig, ſo lange einer zappelt,
und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er ver¬
röchelt war, dann kamen ſie herbeigelaufen, umſtanden das
Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.
Aber das ſollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja
alles nicht mehr! — Er that, was er für recht hielt. Hier durfte
ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit ſich ſelber konnte man
anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte
einem auch nichts zu befehlen! —
Jetzt war er ſeinem Ziele ſchon ganz nahe. Dort am
äußerſten Feldrande ſtand der Baum; ein wilder Kirſchbaum,
ſchlank gewachſen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zu¬
ſammengeleſen, lag darunter. Die Krone ſtand in voller
Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Da¬
hinter lag das Büſchelgewende.
Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen?
Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen ſchnurgerade ausge¬
richteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen
hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/438>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.